„Wir sind von der Sache alle ziemlich angenervt, oder? Also schlage ich vor, wir sollten versuchen, wenigstens ein bisschen Würde zu bewahren“. 14 Thesen zur Debatte um „Cancel Culture“

Am 21. März 2024 hielt ich im Tübinger Epplehaus einen Vortrag über die „Cancel Culture“-Debatte. Im Folgenden dokumentiere ich das Manuskript.

„Wir sind von der Sache alle ziemlich angenervt, oder? Also schlage ich vor, wir sollten versuchen, wenigstens ein bisschen Würde zu bewahren.“ Dieses Zitat aus dem Film „Die üblichen Verdächtigen“ (das ich vor allem als Intro des „…but alive“-Songs „Pete“ kenne) geht mir oft durch den Kopf, wenn ich an die Debatten um Cancel Culture und die damit in Verbindung stehenden Kulturkämpfe denke. Denn ich kenne wirklich niemanden, der mit den Dynamiken dieser Debatten zufrieden wäre – wir sind von der Sache alle ziemlich angenervt. Allerdings sind wir alle auf verschiedene Weise angenervt und ich sehe nicht, wie man das auflösen könnte. Daher ist es wohl das Beste, wenn wir versuchen, wenigstens ein bisschen Würde zu bewahren.

Würdelos erscheint es mir vor allem, der Versuchung nachzugeben, sich mit Inbrunst und gezücktem Messer ins Handgemenge zu stürzen, um denen, die man von Anfang an als „Gegenseite“ identifiziert, so hart wie möglich zuzusetzen und denen, die man der „eigenen Seite“ zuordnet, den Rücken freizuhalten. Diese Versuchung ist in Kulturkämpfen immer groß, aber man sollte sich Mühe geben, ihr zu widerstehen – zumindest, wenn man versuchen will, ein bisschen Würde zu bewahren.

Ich will mir im Folgenden Mühe geben. Allerdings soll hier nicht der Anschein entstehen, ich spräche aus der perfekt ausbalanciert-neutralen Position. Ich komme in diesem Kulturkampf durchaus von einer Seite, nämlich von derjenigen, die der Diagnose einer linken Cancel Culture sehr skeptisch gegenübersteht. Allerdings will ich mir eben Mühe geben, da, wo es nötig scheint, auch meine „eigene Seite“ zu kritisieren und an anderen Stellen mit allem gebotenen Widerwillen der „anderen Seite“ Recht zu geben.

Dabei möchte ich anmerken, dass ich zwar ein Wissenschaftler bin, der sich in seiner Arbeit mit verwandten Themen beschäftigt, dies aber kein wissenschaftlicher Vortrag ist. Zudem ist die Argumentation nur halbwegs strukturiert und besteht aus 14 nicht immer aufeinander aufbauenden Thesen, die ich jeweils kurz kommentiere. 14 ist keine sehr schöne Zahl, aber 10 oder 12 reichten nicht ganz und 81 weitere wollten mir auch nicht einfallen.

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10 Punkte zur Debatte um das Massaker vom 7. Oktober 2023

1. Die Verbrechen, die die Hamas am 7. Oktober begangen hat, waren ein Massaker, das in Ausmaß und Brutalität auch innerhalb dieses Konfliktes alles in den Schatten stellt, was seit dem Massaker von Sabra und Schatila 1982 passiert ist. Wer das nicht ohne Relativierung anerkennen kann, sollte sich zum Thema einfach nicht äußern.

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Männlichkeit und Vorurteil. Zwei Anmerkungen zu „Clanland“

So, nun habe auch ich den „Clanland“-Podcast gehört, in dem Mohamed Chahrour und Marcus Staiger „nicht über Clans, sondern mit Clans“ sprechen. (Late to the party, I know.)

Ich fand ihn ziemlich gut, habe aber doch zwei Anmerkungen: Zum einen frage ich mich, wie die beiden es bei diesem Thema schaffen, in zwölf ganzen Folgen nicht ein einziges Mal explizit über Geschlecht zu sprechen. Zum anderen macht das Segment „Vorurteil der Woche“ (vermutlich ungewollt) deutlich, dass „Vorurteil“ einfach nicht die richtige Kategorie ist, um das Problem zu fassen.

So, nun habe auch ich den „Clanland“-Podcast gehört, in dem Mohamed Chahrour und Marcus Staiger „nicht über Clans, sondern mit Clans“ sprechen. (Late to the party, I know.)

Vorneweg: ich fand den Podcast gelungen und hörenswert. Den beiden gelingt es, ein ziemlich sperriges und hitzig diskutiertes Phänomen multiperspektivisch einzufangen und differenziert darzustellen. Sie thematisieren die Realität arabischer Großfamilien in Deutschland und gehen dabei auch auf die vieldiskutierte (sowohl kleine als auch organisierte) Kriminalität ein. Dabei setzen sie weder Großfamilien und Kriminalität in eins noch verleugnen sie die Realität der Kriminalität.

Der Podcast „Clanland“ mit Mohamed Chahrour und Marcus Staiger

Sie diskutieren die vielfältigen Bedingungen, die die heutige Lage hervorgebracht haben und reflektieren die rassistischen Verzerrungen des gesellschaftlichen Diskurses über diese Themen. Bei alldem schaffen sie es dann auch noch, weder effektheischend noch langweilig noch moralisierend zu sein. Und wenn ihre Recherchen in einer Frage kein wirkliches Urteil erlauben, dann urteilen sie auch nicht, sondern halten die Unklarheit fest.

Zwei Anmerkungen habe ich aber doch: Zum einen frage ich mich, wie die beiden es bei diesem Thema schaffen, in zwölf ganzen Folgen nicht ein einziges Mal explizit über Geschlecht zu sprechen. Zum anderen macht das Segment „Vorurteil der Woche“ (vermutlich ungewollt) deutlich, dass „Vorurteil“ einfach nicht die richtige Kategorie ist, um das Problem zu fassen.

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Der „Populismus“ als Ausrede. Über einige Rechtfertigungsversuche migrationspolitischer Restriktionen

In diesem Vortrag widme ich mich einer Argumentationsfigur, in der restriktive migrationspolitische Maßnahmen durch einen Verweis auf die erfolge extrem rechter oder, wie es dann oft heißt, populistischer Parteien gerechtfertigt werden. Diese Art der Umweg-Argumentation findet sich in Politik und öffentlichem Diskurs immer wieder: Eigentlich würde man ja gerne mehr notleidende und flüchtende Menschen aufnehmen; aber wenn man dies täte, dann stärke das nur die AfD, weshalb man – schweren Herzens! – darauf verzichte.[1] „Der „Populismus“ als Ausrede. Über einige Rechtfertigungsversuche migrationspolitischer Restriktionen“ weiterlesen

Kritik an Cornelia Koppetschs „Gesellschaft des Zorns“ und drei weitere Texte im SozBlog

In den letzten zwei Monaten habe ich den SozBlog der Deutschen Gesellschaft für Soziologie bespielt. Dabei habe ich mich vor allem der in fünf einzelne Blogbeiträge unterteilten Kritik von Cornelia Koppetschs Gesellschaft des Zorns. Rechtspopulismus im globalen Zeitalter gewidmet.

Darüber hinaus habe ich für den Blog eine Rezension von Cas Muddes neuem Buch The Far Right Today sowie zwei weitere Texte über das Verhältnis von Rechtspopulismus, Demokratie und Rassismus verfasst. Untenstehend sind alle Links zusammengetragen.

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Islamdebatten und antimuslimischer Rassismus. Dilemma, Begriffe und Grenzziehungen

Am 1. und 2. Juli veranstaltete die Bundeszentrale für politische Bildung in Celle eine Tagung mit dem Titel Von Blicken und Brandbomben. Antimuslimischer Rassismus heute, in deren Rahmen ich einen Vortrag hielt. Dabei diskutierte ich, warum antimuslimischer Rassismus heute von besonderer Relevanz ist, warum die Unterscheidung von Rassismus und demokratischer Kritik ein reales Problem darstellt und wie man das Phänomen des antimuslimischen Rassismus begrifflich fassen sollte. Letzteres illustrierte ich am Beispiel der umstrittenen islambezogenen Karikaturen von Franziska Becker. Im Folgenden dokumentiere ich mein ganzes leicht überarbeitetes Manuskript. Wer sich in erster Linie für die Diskussion der Karikaturen interessiert, kann bei Abschnitt 3 mit dem Lesen anfangen, ohne viel zu verpassen.

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Ich sehe was, was Du nicht siehst! Über das Verhältnis von Rassismuskritik und Antisemitismuskritik. Teil II: Der jeweilige Blick auf Rassismus und Antisemitismus

In diesem zweiten Teil meiner Vortragsverschriftlichung geht es darum, was Antisemitismuskritik und Rassismuskritik jeweils unter Antisemitismus und Rassismus verstehen – und inwiefern man von beiden etwas über beides lernen sollte.

(Anmerkung: Ich bin nie dazu gekommen, den hier versprochenen dritten Teil für den Blog aufzubereiten. Der komplette Text findet sich in unterschiedlichen Versionen in diesem Peripherie-Artikel sowie in meinem Beitrag zum Sammelband Beißreflexe.)

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Ich sehe was, was Du nicht siehst! Über das Verhältnis von Rassismuskritik und Antisemitismuskritik. Teil I: Die theoretischen und politischen Hintergründe

Am Donnerstag, dem 18. Oktober 2018 hielt ich beim Linken Bündnis gegen Antisemitismus in München einen Vortrag über das Verhältnis von Rassismuskritik und Antisemitismuskritik. Eine ausformulierter Version des weitgehend frei gehaltenen Vortrags dokumentiere ich in drei Teilen. In diesem ersten Teil geht es um die theoretischen und politischen Hintergründe, vor denen Rassismuskritik und Antisemitismuskritik formuliert werden; im folgenden zweiten Teil stelle ich die Begriffe von Rassismus und Antisemitismus dar, die mit diesen Perspektiven einhergehen; im abschließenden dritten Teil stelle ich dann die konfligierenden Positionen zum Thema Israel und Islam gegenüber.

(Anmerkung: Ich bin nie dazu gekommen, den hier versprochenen dritten Teil für den Blog aufzubereiten. Der komplette Text findet sich in unterschiedlichen Versionen in diesem Peripherie-Artikel sowie in meinem Beitrag zum Sammelband Beißreflexe.)

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Kritik zurückgezahlt in Raten #1 – Wahrheit, Vernunft, Ideologie und Kritik

Meine Thesen zu Islamdebatten zwischen antimuslimischem Rassismus und demokratischer Kritik sind in den letzten Jahren mehrfach kritisiert worden. In längeren Texten tat dies schon vor drei Jahren Jan Huiskens, zuletzt taten es auch Sama Maani [1 2 3 4] und Felix Perrefort; darüber hinaus wurde Kritik auch in kürzeren Passagen oder in sozialen Medien formuliert. Anstatt eine umfassende Antwort in einem langen Text zu formulieren, zahle ich die Kritik in Raten zurück: Ich nehme jeweils einen einzelnen Aspekt heraus und gehe darauf in einem Blogbeitrag ein, wobei ich die strittigen Aspekte meiner Position zu begründen versuche. In dieser ersten Ratenzahlung gehe ich auf das Verhältnis von Wahrheit, Vernunft, Ideologie und Kritik ein.

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Reminder: Man kann keinen progressiven Punkt machen, indem man Menschen als dumm vorführt. Eine Randbemerkung zu Three Billboards Outside Ebbing, Missouri

*Enthält kleinste Spoiler, die für den Plot aber unerheblich sind*

Three Billboards Outside Ebbing, Missouri ist ein großartiger Film, der alle Auszeichnungen, die er hoffentlich erhalten wird, redlich verdient. Three Billboards ist im besten Sinne humanistisch: Ihm gelingt es nicht nur, mittelwestlich-kleinstädtische Lebenswelten, die dem größten Teil des Publikums sehr fremd sein dürften, mit viel Empathie als menschliche Lebenswelten darzustellen; er zeichnet nicht nur liebenswerte Charaktere, die ständig das Falsche tun oder – wenn Sie aus Versehen doch einmal das Richtige tun – grandios scheitern; er ist dabei auch sehr, sehr lustig.

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