So, nun habe auch ich den “Clanland”-Podcast gehört, in dem Mohamed Chahrour und Marcus Staiger „nicht über Clans, sondern mit Clans“ sprechen. (Late to the party, I know.)
Vorneweg: ich fand den Podcast gelungen und hörenswert. Den beiden gelingt es, ein ziemlich sperriges und hitzig diskutiertes Phänomen multiperspektivisch einzufangen und differenziert darzustellen. Sie thematisieren die Realität arabischer Großfamilien in Deutschland und gehen dabei auch auf die vieldiskutierte (sowohl kleine als auch organisierte) Kriminalität ein. Dabei setzen sie weder Großfamilien und Kriminalität in eins noch verleugnen sie die Realität der Kriminalität.
Sie diskutieren die vielfältigen Bedingungen, die die heutige Lage hervorgebracht haben und reflektieren die rassistischen Verzerrungen des gesellschaftlichen Diskurses über diese Themen. Bei alldem schaffen sie es dann auch noch, weder effektheischend noch langweilig noch moralisierend zu sein. Und wenn ihre Recherchen in einer Frage kein wirkliches Urteil erlauben, dann urteilen sie auch nicht, sondern halten die Unklarheit fest.
Zwei Anmerkungen habe ich aber doch: Zum einen frage ich mich, wie die beiden es bei diesem Thema schaffen, in zwölf ganzen Folgen nicht ein einziges Mal explizit über Geschlecht zu sprechen. Zum anderen macht das Segment „Vorurteil der Woche“ (vermutlich ungewollt) deutlich, dass „Vorurteil“ einfach nicht die richtige Kategorie ist, um das Problem zu fassen.
1 Podcast ohne Geschlecht
Eindimensionalität kann man dem Podcast sicher nicht vorwerfen. Chahrour und Staiger gehen auf vieles ein: auf die gesellschaftlichen Bedingungen im Libanon seit den 1970ern, auf den dortigen Bürgerkrieg, auf die daraus resultierende Fluchtmigration unter anderem nach Deutschland, auf die Praxis des deutschen Wohlfahrtsstaates, Bürgerkriegsflüchtlinge über Jahre ohne Arbeitserlaubnis in einem Duldungsstatus zu fixieren, auf soziale Marginalisierung und mangelnde Freizeitangebote, auf institutionelle Diskriminierung, auf kulturelle Differenz, auf mediale Berichterstattung, auf politische Kampagnen und auf vieles andere mehr.
Jedoch gehen sie in zwölf langen Episoden nicht ein einziges Mal explizit auf die Relevanz von Geschlecht ein – und das obwohl zahlreiche Aussagen aus den Interviews geradezu nach einer Diskussion von Geschlecht und insbesondere Männlichkeit schreien: Die Interviewpartner:innen (immerhin: ein paar sind weiblich) sprechen darüber, wie wichtig es ist, dass Männer ihre Familie ernähren, darüber, dass es eine Schande sei, wenn Mädchen aus der Familie dies oder jenes tun, über verschiedene Formen von zumeist von Jungen und Männern ausgehender Gewalt, über anscheinend ausschließlich aus männlichen Jugendlichen bestehende Gangs und so weiter und sofort. Wie schafft man es da, nicht ein Mal explizit über Männlichkeit zu sprechen?
Ja, sicher, dieses Thema ist ohne Zweifel „gefährlich“ und schwer zu bearbeiten: Klischees über Geschlechterverhältnisse oder Männlichkeit in arabischen oder muslimischen Kontexten sind ein fester Bestandteil rassistischer Diskurse. Jedoch halten solche Schwierigkeiten Chahrour und Staiger bei anderen auch Themen nicht auf.
Leichter würde es dadurch, dass man gar nicht nur über „arabische Männlichkeit“ sprechen müsste. In fast allen „Kulturen“ gelten Normen, nach denen Männlichkeit mit Stärke assoziiert ist und als Machtausübung realisiert werden muss. Insbesondere der Anspruch, dass Männer finanziell für ihre Familie sorgen müssen, ist sehr weit verbreitet. Immer wieder begehen Männer, die diesem Anspruch nicht gerecht werden, Verbrechen oder sonstige Gewalthandlungen – auch in biodeutschen Kontexten.
Da liegt es nahe, die in der Berichterstattung über arabische Großfamilien oft vorgeführte Performance von rabiater Männlichkeit (auch) als Kompensation eines solchen Scheiterns zu lesen: Männer, die nach gesamtgesellschaftlich geltenden Standards in marginalisierter Position sind, suchen andere Wege, Macht auszuüben. Eine solche Reflexion von Männlichkeit kann weder das Phänomen in Gänze erklären noch stellt sie eine Rechtfertigung der entsprechenden Handlungen dar. Gewaltkriminalität bleibt Gewaltkriminalität und nicht rechtfertigbar. Aber sie beleuchtet eine wichtige Dimension des Problems und trägt zur notwendigen Problematisierung von Männlichkeitsnormen bei.
In dieser Reflexion wäre auch darüber zu sprechen, wie bei der Thematisierung von „Clankriminalität“ nicht-arabische Männlichkeiten dargestellt und performiert werden. Denn viele Äußerungen über „die arabischen Männer“ geben Grund zur Annahme, dass auch die Männlichkeit derer, die von außen über Clans sprechen, ein Thema sein sollte. Über was, wenn nicht über Männlichkeit sollte man sprechen, wenn D-Bo (wie es im Podcast geschieht) sein unproblematisches Verhältnis zu arabischen Männern in Shisha-Bars durch den Vergleich imaginärer Schwanzgrößen erklärt? Und handelt es sich bei der in Spiegel-TV-Reportagen gängigen Praxis, Männer aus den Clans mit Kamera und Mikrofon vorzuführen nicht selbst um eine Inszenierung männlich herumpimmelnder Macht?
2 Sind „Vorurteile“ das Problem?
Ein in jeder Folge wiederkehrendes Segment ist das „Vorurteil der Woche“. In diesem irgendwie ironisch gemeinten Format geht es zumeist um unter Biodeutschen verbreitete Klischees darüber, wie „die Araber“ oder „die Clans“ sind, teils auch um in „der arabischen Community“ verbreitete Klischees über „die Deutschen“.
Die Diskussion in diesem Segment nimmt fast immer dieselbe Form an: Es beginnt mit einem Rant von Chahrour darüber, wie sehr der Satz „alle Araber sind X“ nervt und dass diese Aussage so einfach nicht stimmt. Darauf folgen dann jedoch meist Gespräche der beiden Podcaster oder Interviewschnipsel, aus denen hervorgeht, dass ein bisschen Wahres an dem Vorurteil ja doch dran ist.
Was am Ende jeweils hängenbleibt, ist eine humanistische Mischung aus „Andere Länder, andere Sitten“ und etwas in der Richtung von #notallmen: Ja, es stimmt schon, zwischen arabischen und biodeutschen Kontexten gibt es kulturelle Unterschiede, die tendenziell dem entsprechen, was das „Vorurteil der Woche“ besagt. Aber die Sitten und Gebräuche der Anderen müssen ja nicht unbedingt schlecht sein, sondern haben auch ihr Gutes. Außerdemen sind nicht alle Araber bzw. nicht alle Deutschen so.
Gegen diese Einsichten ist im Grunde nichts auszusetzen – sie wären auch ungefähr das, was man im durchschnittlichen „Interkulturellen Training“ zu lernen bekommt. Es ist gut zu wissen, dass Menschen unterschiedlich sind, dass die Unterschiede auch etwas mit Kultur zu tun haben (aber nicht darauf reduziert werden können) und dass man nicht von jedem Individuum ein „seiner Kultur entsprechendes“ Verhalten erwarten und sie mit dieser Erwartung nerven sollte.
Jedoch weisen diese Einsichten eben jene Verkürzung auf, die Rassismuskritik seit vielen Jahren an Interkulturalismus und Vorurteilsforschung kritisiert: Die eigentlichen Probleme werden verkannt, wenn man sie als kulturelles Missverständnis oder als Vorurteil framet.
Doch zum Glück, werden diese eigentlichen Probleme im Podcast selbst auch benannt: Zum Problem werden „Vorurteile“ und „interkulturelle Missverständnisse“ nämlich vor allem dann, wenn ein hegemonialer, also gesamtgesellschaftlich vorherrschender Diskurs die entsprechenden Klischees über marginalisierte Minderheiten im Dauerfeuer verbreitet und sie sich in den Köpfen und Handlungsweisen der Einzelnen in einer Weise niederschlagen, die zu struktureller Diskriminierung führt. Dann werden Menschen nur aufgrund ihres Nachnamens und „ihrer“ (vermuteten) Kultur von Behörden, auf Märkten oder im Alltag schlechter behandelt und im Diskurs nicht gehört. Dann besteht ein Problem, das viel Größer ist als „Vorurteile“ und „Missverständnisse“ – und dieses Problem sollte man Rassismus nennen.
P.S.: Wer jetzt über Staiger und die Impfung diskutieren will, kann das gerne tun, aber bitte woanders. Danke.