Misstraut Euch! Warum Sama Maani es der linken „Islamkritik“ zu einfach macht

Floris Biskamp

In einer Diskussion mit Sama Maani habe ich die These vertreten, dass er es seinen Leserinnen[1] allzu einfach macht, Legitimität für die eigene „Islamkritik“ zu beanspruchen. Der Grund dafür ist ein meines Erachtens verkürztes Verständnis von Rassismus, dem ich mein Verständnis von antimuslimischem Rassismus entgegenstelle. Untenstehend ist das überarbeitete Vortragsmanuskript dokumentiert.

Nachdem wir uns mit unseren Vorträgen sowohl im Winter in Leipzig als auch im Herbst in Nürnberg jeweils knapp Woche verpasst haben, freue ich mich sehr über die Gelegenheit zu einem direkten Austausch mit Sama Maaani – denn ich finde, dass unsere Positionen einen interessanten Kontrast bilden. Ich formuliere meine eigenen Thesen im Folgenden in Abgrenzung gegen seine, wobei ich mich insbesondere auf seinen Text Warum wir über den Islam nicht reden können beziehe. Dafür möchte ich zunächst kurz zusammenfassen, inwiefern ich seine Position für problematisch halte, um anschließend meine eigene zu skizzieren.

Flugblatt zur Diskussionsveranstaltung mit Floris Biskamp und Saama Maani

Äußeres Dilemma oder innere Blockade?

Einig sind wir uns darin, dass es einerseits reale Probleme innerhalb islamischer Kontexte gibt, die kritikwürdig sind – Beispiele hierfür sind Islamismus, patriarchalische Geschlechternormen in orthodox-islamischen Kontexten, muslimisch artikulierter Antisemitismus usw. Ebenfalls einig sind wir uns darin, dass es andererseits eine politische Mobilisierung gibt, die als „Islamkritik“ auftritt, in ihrem Kern aber rassistisch ist und dementsprechend ebenfalls kritisiert werden muss – paradigmatisch hierfür sind AfD, FPÖ, Michael Stürzenberger, Politically Incorrect usf.

Schon bei der Bewertung dieser Gleichzeitigkeit hört unsere Einigkeit aber auf. Ich selbst sehe darin, ein reales äußeres Dilemma: Wer unter den gegebenen Umständen das, was in islamischen Kontexten kritikwürdig ist, öffentlich kritisiert, läuft immer Gefahr, gewollt oder ungewollt zur Verbündeten von FPÖ, Stürzenberger und Co. zu werden. Wer dagegen FPÖ, Stürzenberger und Co. für ihre „islamkritischen“ Positionen kritisiert und es sich dabei zu einfach macht, läuft Gefahr, die Kritik an dem, was in islamischen Kontexten wirklich kritikwürdig ist, zu unterminieren. Alle, denen es um die Freiheit und Gleichheit aller geht, tun meines Erachtens gut daran, dieses Dilemma ernst zu nehmen und die eigene Praxis vor diesem Hintergrund zu reflektieren. Maani dagegen sieht eher eine innere Blockade in den Köpfen von Linken und Liberalen am Werk. Diese unterwürfen sich selbst zu Unrecht einem Tabu in Bezug auf das Sprechen über Religion im Allgemeinen und den Islam im Besonderen.

Ein bequemes Angebot für linke und liberale „Islamkritik“

Auch wenn er es vermutlich nicht beabsichtigt, macht Maani seinen Leserinnen damit ein allzu verlockendes Angebot, der meines Erachtens dringend notwendigen Reflexion guten Gewissens auszuweichen: Wenn kein reales äußeres Dilemma, sondern nur eine selbstauferlegte Sprechblockade in den Köpfen von wohlmeinenden, aber naiven Linken und Liberalen besteht, spricht im Grunde nichts dagegen, frei von der Leber Weg über den Islam vom Leder zu ziehen.

Um zu zeigen, dass in Wirklichkeit kein äußeres Dilemma existiert, muss Maani insbesondere eines leisten: Er muss zeigen, dass eine linke und liberale „Islamkritik“ sich kategorisch von dem unterscheiden lässt, was die Rechten als „Islamkritik“ nur verkaufen. Dies erreicht Maani durch zwei Mittel: erstens durch eine Unterscheidung von eigentlichem und uneigentlichem Sprechen und zweitens durch eine Kritik der vollen Identifikation von Person und Religion.

Es geht nicht um uneigentliches Sprechen

Ohne diese Begriffe zu benutzen, unterscheidet Maani immer wieder zwischen einem eigentlichen und einem uneigentlichen Sprechen: Wenn wir Linken und Liberalen uns endlich einmal dazu durchrängen, kritisch über den Islam sprechen – was wir seinen Texten nach zu urteilen eher zu selten tun – dann sprächen wir eigentlich: Wir sprächen wirklich über den Islam als eine kulturelle und religiöse Tradition, wir benennten, wo diese Tradition repressiv oder irrational ist, und wir zielten damit auf die Abschaffung der entsprechenden Unfreiheit. Damit stünden wir in der Tradition der Religionskritik von Voltaire, Marx, Freud usw. Was sollte daran schon falsch sein?

Wenn die Rechten dagegen für sich in Anspruch nähmen, „Islamkritik“ zu üben, dann täten sie das fälschlicherweise, denn sie sprächen dabei uneigentlich. Sie täten nur so, als ob sie über den Islam sprächen, in Wirklichkeit gehe es ihnen aber nicht um den Islam, sondern um „Türken“ oder „Araber“, die sie rassistisch ablehnten.

Diese für Maanis Argumentation zentrale Unterscheidung möchte ich in drei Punkten kritisieren: Erstens lege ich dar, dass der damit behauptete Unterschied so einfach nicht plausibel ist, wenn man bedenkt, wie Rassismus funktioniert. Zweitens erläutere ich, dass dieser Unterschied, selbst wenn er plausibel wäre, in der kritischen Praxis kaum zu erkennen wäre und die Unterscheidung dementsprechend nicht vollzogen werden kann. Drittens argumentiere, dass diese Unterscheidung, selbst wenn sie vollzogen werden könnte, doch nicht triftig wäre, weil sie auf die falsche Ebene zielt, indem sie Sprechen nicht als in einem sozialen Kontext vollzogene soziale Konsequenzen zeitigende soziale Handlung, sondern nur als Ausfluss eines Subjekts versteht.

Zum ersten Schritt: Maani zufolge reden die Rechten, die behaupten „Islamkritik“ zu üben, eigentlich gar nicht über den Islam, sondern über „Türken“ oder „Araber“. Sie benutzten das Wort „Islam“ lediglich als Chiffre, weil sie wüssten, dass offene Ablehnung gegenüber ethnischen Minderheiten sozial nicht akzeptiert sei. Dementsprechend gehe es ihnen auch nicht darum, repressive kulturelle Normen mit dem Ziel ihrer Auflösung zu kritisieren, sondern darum, ihre Ressentiments gegen Fremde auszudrücken. Der wahre Kern von Maanis Arguments ist, dass tatsächlich eine Verschiebung rassistischer Diskurse stattgefunden hat. In rassistischen Diskursen über Kriminalität wird an Stellen, an denen vor 20 oder 30 Jahren noch von „Türken“ oder „Ausländern“ gesprochen worden wäre, heute von „Muslimen“ gesprochen. Jedoch frage ich mich: Warum sollte der eine Bezug nun wirklicher und eigentlicher sein als der andere? Ging es denn jemals wirklich und eigentlich um Ausländerinnen und Türkinnen? Haben sich Rassistinnen vor 50 Jahren wirklicher für Reisepass, Geburtsurkunde, Stammbaum oder Chromosomen interessiert, als sie sich heute für den Islam und Muslimischsein interessieren? Ging es nicht damals ebenso wie heute in Wirklichkeit um rassistische Subjekte, die einerseits eine kontingente (aber nicht beliebige!) Leinwand für ihre pathischen Projektionen brauchen und die andererseits die eigenen Privilegien rationalisieren und verteidigen, indem sie weniger privilegierte Andere als gefährlich darstellen? Warum ist das Sprechen eigentlicher, wenn sich diese Bedürfnisse auf „Türken“ beziehen als wenn sie sich auf „Muslime“ beziehen?

Jeweils sucht sich ein gesellschaftliches Bedürfnis der rassistischen Subjekte ein zu rassifizierendes Objekt, das dann so oder anders bestimmt werden kann. Demnach ist der rassistische Diskurs über „Türken“ und „Araber“ dem rassistischen Diskurs über „Islam“ und „Muslime“ zwar historisch vorgängig (wenn man sich auf die letzten Jahrzehnte beschränkt). Er hat aber keine darüber hinausgehende Priorität im Sinne eines höheren Grades von Wirklichkeit oder Eigentlichkeit. Also ist alles andere als klar, dass die Rechten, wenn sie behaupten, über „den Islam“ oder „Muslime“ zu sprechen, in Wirklichkeit „Türken“ und „Araber“ meinen. (Oder liegt Maanis These die Vermutung zugrunde, dass „Türkischsein“ in irgendeinem Sinne eine wirklichere Identität ist als „Muslimischsein“? Warum sollte das so sein?)

Aber nehmen wir nun an, es wäre tatsächlich so, dass die Rechten nur vermeintliche „Islamkritik“ üben, in Wirklichkeit aber „Türken“ und „Araber“ meinen. Dann möchte ich als zweiten Schritt fragen: Wie um alles in der Welt kann ich erkennen, ob jemand wirklich über „Muslime“, „Türken“ oder „Araber“ spricht, wenn das Wort „Muslime“ verwendet wird? Nehmen wir den aus diversen Fußgängerzonen der Republik bekannten Hetzer Michael Stürzenberger als Beispiel. Ich nehme an, dass wir uns bei ihm relativ schnell einig werden, dass er ein rechter Hetzer ist. Aber nun frage ich mich: Woran kann ich erkennen, dass es bei seiner Hetze in Wirklichkeit gar nicht um „Islam“ und „Muslime“, sondern um „Türken“ oder „Araber“ geht? Er sagt jedenfalls das genaue Gegenteil. Er sagt, dass er „ägyptische Kopten“ ebenso als seine Verbündeten betrachtet wie „türkische Aleviten“. Woran merke ich, dass das uneigentlich gesprochen ist? Es lässt sich nicht ohne weiteres zeigen, dass der Islam in seinen politischen Reden nur eine Ausrede ist, um gegen Zuwanderung oder gegen Menschen mit Migrationshintergrund zu hetzen. Vielmehr bezieht er explizit eine liberale, menschenrechtliche Position, von der aus er den Islam als Bedrohung für die Freiheit aller beschreibt – und zwar in Europa ebenso wie in der arabischen Welt, im Iran oder sonstwo. Er will nicht nur München und Paris, sondern auch Teheran und Riad von der Bedrohung durch islamische Herrschaft befreien. Es ist leicht aufzuzeigen, dass Stürzenbergers scheinbarer Liberalismus zutiefst autoritär, verhärtet und antiliberal ist. Ebenso leicht ist es darzulegen, dass sein Bild vom Islam grob verzerrend ist. Jedoch fehlt mir die Phantasie, wie ich aufzeigen sollte, dass er in Wirklichkeit „Türken“ und „Araber“ meint, wenn er „Islam“ und „Muslime“ sagt. Kann man die eigentlichen Signifikate der Signifikanten durch eine Analyse seiner Reden erkennen? Oder muss man ihn dafür als Person auf eine Couch legen und psychoanalysieren? Hierzu finde ich in Maanis Texten keine sachdienlichen Hinweise.

Aber nehmen wir nun an auch dieses zweite Problem ließe sich lösen. Nehmen wir an, der Kern der rechten Hetze, die „Islam“ sagt, bestünde darin, dass eigentlich „Türken“ und „Araber“ gemeint sind, und nehmen wir an, es gäbe Methoden, um die Uneigentlichkeit dieses Sprechens auch zu erkennen. Dann würde ich immer noch in Zweifel ziehen, dass wir damit eine triftige Unterscheidung getroffen hätten, die tatsächlich den Unterschied zwischen wünschenswertem und ablehnenswertem Sprechen über den Islam kennzeichnet. Denn diese von Maani implizierte Gleichsetzung geht nur auf, wenn wir voraussetzen, dass der entscheidende Unterschied zwischen im emphatischen Sinne kritischem und rassistischem Sprechen im Kopf der sprechenden Person zu suchen ist. Demnach wäre die Legitimität eines Sprechakts als emanzipatorische Kritik dadurch gewährleistet, dass eine Person aufrichtig und ehrlich zu sich selbst und anderen reale Probleme an einer kulturellen oder religiösen Tradition meint. Illegitim und rassistisch wäre ein Sprechakt dagegen, wenn die entsprechende Person zwar so tut, als spreche sie über den Islam, in Wirklichkeit aber bestimmte rassistisch definierte Gruppen meint, gegen die sich ihre Ablehnung richtet – sei es in Form einer bewussten Täuschung der Umwelt durch ein manipulatives Subjekt, sei es in Form einer unbewussten Selbsttäuschung durch ein pathisch projizierendes Subjekt. Der Maßstab für die Legitimität des Sprechens fände sich dann jeweils als ein Meinen im Kopf der der Sprecher_innen.

Es geht um rassistisches Sprechen

Ich möchte dagegen eine andere Perspektive vorschlagen: Wir sollten das Sprechen über den Islam nicht in erster Linie als den Ausfluss eines mehr oder weniger falschen subjektivenn Bewusstseins verstehen, das dieses oder jenes meint, sondern als eine in einem sozialen Kontext vollzogene soziale Handlung, die soziale Effekten zeitigt – als einen Sprechakt in einem Diskurs. Es kommt weniger darauf an, was das sprechende Subjekt bewusst oder unbewusst tun will, sondern darauf, was mit dem Sprechen es tut. Dies ist wohlgemerkt keine ontologische Aussage darüber, was Sprechen eigentlich ist – Sprechen ist in aller Regel sowohl ein Produkt eines Subjekts als auch ein Element eines gesellschaftlichen Diskurses. Wenn es aber darum geht, Rassismus zu kritisieren, ist es sinnvoll, Sprechen in erster Linie als letzteres zu betrachten.

Rassismus ist nämlich nicht als ein bestimmter verkorkster pathisch-projektiver Ausfluss verkorkster Subjekte zu verstehen, sondern als ein soziales Dominanzverhältnis. Dieses soziale Dominanzverhältnis basiert darauf, dass die dominierten Personen rassifiziert werden – sie werden als Teil eines Kollektivs behandelt, dem gewisse negative Eigenschaften zugeschrieben werden. Diese negativen Eigenschaften, die dann als mehr oder weniger unveräußerliche Charaktereigenschaften der rassifizierten Subjekte gelten, fungieren wiederum als Legitimation dafür, dass diese Subjekte bei der Verteilung sozialer und symbolischer Ressourcen benachteiligt sind – auf dem Wohnungsmarkt, auf dem Arbeitsmarkt und so weiter. Damit Rassismus funktionieren kann, muss die Zugehörigkeit zur diskriminierten Gruppe wiederum an gewisse äußerlich erkennbare Stigmata geknüpft sein – seien es körperliche Merkmale, seien es Kleidungsstücke, seien es Namen, seien es soziale Praktiken, sei es ein Akzent.

Ein so verstandener Rassismus kann sowohl in biologischen als auch in kulturellen Begriffen artikuliert sein; die rassifizierte Gruppe kann also sowohl als biologische als auch als kulturelle oder religiöse Einheit definiert werden – Mischformen sind möglich. In welchem Maße der Rassismus kulturell oder biologisch artikuliert wird, ist für seine Effekte durchaus folgenreich, ändert aber nichts an seiner grundlegenden Funktionsweise.

Einen kulturell artikulierten Rassismus gibt es heute gegen Musliminnen, die dabei als Musliminnen rassifiziert und diskriminiert werden. Dieser Rassismus ist als soziales Phänomen zu beschreiben und zu kritisieren. Obwohl der Rassismus auf der diskursiven Ebene antimuslimisch artikuliert ist und in weiten Teilen in einem Sprechen über „den Islam“ und „die muslimische Kultur“ besteht, kann er in der konkreten diskriminierenden Praxis durchaus an Haut- oder Augenfarbe als Stigma anknüpfen. Das ist zwar paradox und absurd, aber die Schuld daran trägt nicht die Rassismuskritik, sondern der Rassismus. Rassismus ist in aller Regel nicht rational-kohärent, die Rassismuskritik muss ihn in seiner Inkohärenz kritisieren – wenngleich sein Problem weniger in seiner Inkohärenz als in seiner Effektivität besteht.

Wer identifiziert voll?

Sama Maani behauptet nun, dass alle Linken oder Liberalen, die diesen antimuslimisch artikulierten Rassismus als „antimuslimischen Rassismus“, „Islamophobie“, „Islamfeindlichkeit“ oder dergleichen benennen, auf den Diskurs der Rechten hereinfallen, indem sie die von diesen vollzogene volle Identifikation von Islam einerseits und „Türken“ bzw. „Arabern“ andererseits reproduzieren. Ich sehe nicht, warum das der Fall sein sollte. Es gibt einen rassistischen Diskurs, der sich auf Musliminnen als Musliminnen und auf den Islam als Islam bezieht. Dieser ist nicht als uneigentliches Sprechen zu entschleiern, sondern als rassistischer Diskurs zu benennen. Man kann einen rassistischen Diskurs, der sich eben antimuslimisch artikuliert, als antimuslimischen Rassismus kritisieren, ohne selbst eine volle Identifikation von Person und Religion zu reproduzieren. Im Gegenteil kann man diese Identifikation dabei gerade als ein Element des rassistischen Diskurses ausweisen.

Darüber hinaus bringt Maanis Insistieren auf die Relevanz der vollen Identifikation noch ein zweites Problem mit sich. Er hat zwar durchaus Recht damit, dass die volle Identifikation von vermeintlich oder real muslimischen Personen einerseits und dem Islam andererseits für das Funktionieren dieses Rassismus zentral ist. Jedoch reicht es für das Funktionieren des Rassismus völlig aus, wenn diese Identifikation im Diskurs existiert und von den konkret diskriminierenden Subjekten zur Anwendung gebracht wird. Das heißt aber nicht, dass eine einzelne Aussage oder eine Darstellung, die diese volle Identifikation nicht erkennbar oder gezielt vollzieht, automatisch von jeder Verstricktheit in den rassistischen Diskurs freigesprochen werden könnte – ein Umkehrschluss, den Maanis Argumentation zulässt.

Indem Maani die volle Identifikation zu einem entscheidenden Kriterium macht und der Kritik des antimuslimischen Rassismus vorwirft, diese zu reproduzieren, verleitet er also in zweierlei Hinsicht zu einer falschen Praxis: Erstens delegitimiert er damit jede Rassismuskritik, die den Rassismus als das bezeichnet, als was er sich artikuliert: nämlich als antimuslimisch; zweitens legitimiert er implizit jede „Islamkritik“, die nicht voll identifiziert – und dies nicht zu tun, kostet nicht viel. Auch bei Stürzenberger, der sich ja positiv aus Islamkritikerinnen aus islamisch geprägten Ländern sowie auf liberale Musliminnen bezieht, wäre diese volle Identifikation letztlich schwer nachzuweisen.

Welches Sprechen ist rassistisch?

Wie ist aber stattdessen zu entscheiden, welche Formen des Sprechens als antimuslimisch-rassistisch abzulehnen oder als wünschenswerte Kritik zu begrüßen sind? Hierfür ist nach den zu erwartenden Effekten der jeweiligen Sprechakte zu fragen: Sind diese eher dazu geeignet, die Stigmatisierung und Marginalisierung von Musliminnen zu reproduzieren und zu verstärken? Oder sind sie eher dazu geeignet, auf reale Missstände hinzuweisen und diese (zusammen mit Musliminnen) zu überwinden? Beide Effekte schließen einander nicht aus, aber es kann durchaus einer der Effekte stark überwiegen. In welchem Maße das der Fall ist, hängt durchaus davon ab, ob die Aussage den propositionalen Wahrheitskriterien entspricht. Es hängt aber nicht minder stark vom sozialen Kontext, in dem die Aussage getroffen wird, sowie von der sozialen Positioniertheit der Person, die die Aussage trifft, ab.[2] Hängt es auch davon ab, ob die Sprecherin eigentlich und wirklich „Islam“ und „Musliminnen“ oder heimlich doch „Türken“ und „Araber“ meint? Ich wüsste nicht wie. Ist ein überwiegend marginalisierender und stigmatisierender Effekt nur wahrscheinlich, wenn die Aussage Person und Religion in nachweisbarer Weise voll identifiziert? Ich denke nicht.

Nehmen wir etwa die Aussage „Der Islam ist eine patriarchalische Religion!“ Ist dieser Satz wahr? Ich würde ihn jedenfalls nicht bestreiten. Er wäre freilich auszudifferenzieren und im Verhältnis zu anderen religiösen und kulturellen Traditionen zu diskutieren, aber kaum als schlicht unwahr zurückzuweisen. Ist er rassistisch? Um das zu sagen, müssen wir fragen, wer diesen Satz in welchem Kontext äußert. Wenn ein 14jähriges Mädchen mit den Eltern darum ringt, abends ausgehen zu dürfen, die Eltern den Islam als Argument für ein Verbot heranziehen und das Mädchen dann sagt, dass der Islam eine patriarchalische Religion ist, wüsste ich nicht, wie das zur sozialen Stigmatisierung und Marginalisierung von Musliminnen beitrüge.[3] Wenn dagegen Michael Stürzenberger in einer Rede bei einer PEGIDA-Demonstration denselben Satz formulierte, wäre der Fall anders gelagert. Der Satz wäre genauso wahr oder unwahr wie im ersten Fall, allerdings wäre der Effekt ein ganz anderer. Er bestünde wohl in erster Linie darin, den Islam als illiberal und rückständig zu markieren und damit die Stigmatisierung und Marginalisierung von Musliminnen voranzutreiben. Das gleiche gälte auch, wenn jemand anderes, also beispielsweise Sama Maani oder ich oder ein vierzehnjähriges Mädchen aus muslimischem Elternhaus diesen Satz auf der PEGIDA-Bühne ins Mikrofon sagen würde. Zwischen diesen Extremen lassen sich beliebig viele Abstufungen beschreiben: Was ist beispielsweise, wenn ein Politikwissenschaftler diesen Satz in einem Streitgespräch an der Uni Trier ausspricht? Was ist, wenn ein „Islamexperte“ ihn in einer Talkshow äußert? Hier ist die Gefahr, dass damit ein rassistischer Diskurs verstärkt wird, definitiv gegeben; es könnte unter Umständen aber auch befreiende Effekte zeitigen, indem auf reale Missstände hingewiesen wird. Vermutlich wären jeweils beide Effekte zu erkennen – so dass sich letztlich die immer nur spekulativ zu beantwortende Frage stellt, welcher überwiegt.

Misstraut Euch!

Was heißt das nun für unsere je eigene Praxis? Meines Erachtens heißt es, dass wir genau das tun sollten, was Maani für lächerlich, feige und naiv zu halten scheint: sich sehr genau zu überlegen, wann man wie über den Islam spricht und die Aussagen entsprechend zu qualifizieren, zu differenzieren, zu relativieren und durch Hinweise auf antimuslimischen Rassismus zu ergänzen – oder auch ganz zu schweigen. Maani amüsiert sich köstlich über den Satz: „Den Islam gibt es nicht!“ Es stimme zwar freilich, dass der Begriff dem Gegenstand nicht in all seinen Differenzen gerecht werden könne, aber so sei das nun einmal mit Begriffen. Dass Linke und Liberale gerade in Bezug auf den Islam immer wieder auf diese Selbstverständlichkeit hinweisen, versteht Maani als Symptom für diverse kulturelle und psychische Blockaden. Er geht davon aus, dass diejenigen, die diesen Satz aussprechen, sich einem Tabu in Bezug auf das Sprechen über Religion im Allgemeinen und den Islam im Besonderen unterwerfen. Das mag in einigen Fällen zutreffen, jedoch kann aus diesem Satz eben auch eine Reflexion auf etwas sprechen, das Maani allzu oft ausblendet: die Existenz eines antimuslimisch-rassistischen Diskurses, den unbeabsichtigt zu reproduzieren wir alle Gefahr laufen und gegen den wir uns sperren sollten.

Maani fordert nicht explizit dazu auf, mehr „Islamkritik“ zu üben. Indem er aber mit seiner Fokussierung auf eigentliches und uneigentliches Sprechen, mit seiner Überbetonung der vollen Identifikation und mit seinem Verständnis von Sprache als Ausfluss subjektiven Bewusstseins die Existenz des antimuslimisch-rassistischen Diskurskontexts ausblendet, bietet er seinen linken und liberalen Leserinnen eine bequeme „islamkritische“ Position an, die letztlich zu einer falschen Praxis führt: Wenn man nur links oder liberal ist und wirklich über den Islam spricht, ohne dabei voll zu identifizieren, dann tut man genau das Richtige. Wer aber dieses Angebot dankbar annehmend allzu selbstbewusst über den Islam spricht, ohne die möglichen rassistischen Effekte zu reflektieren, läuft Gefahr, Rassismus zu reproduzieren.

Daher traue ich uns Linken und Liberalen keinen Meter über den Weg! Ich traue mir selbst nicht über den Weg, ich traue Sama Maani nicht über den Weg und ich traue sonst niemandem in diesem Raum über den Weg – von denjenigen außerhalb dieses Raumes ganz zu schweigen. Ich vertraue uns nicht darin, dass wir eigentlicher oder wirklicher über den Islam sprechen als die Rechten. Ich vertraue uns nicht darin, dass wir frei von Ressentiments und Projektionen gegenüber einer religiöse Minderheit wären. Und ich vertraue uns erst recht nicht darin, dass unser Sprechen – egal wie eigentlich, wirklich, wohlmeinend, rational und frei von pathischen Projektionen es sein mag – davor gefeit wäre, rassistische Diskurse zu verstärken. Ich rate allen anderen zu ebensolchem Misstrauen.

 

Anmerkungen:

[1] Ich verwende in diesem Vortrag das generische Femininum. Sofern der Kontext es nicht anders impliziert, beziehen sich weibliche Formen auf die entsprechenden Personen unabhängig von ihrer Identifizierung. Männer sind mitgemeint.

[2] Damit sage ich ganz explizit nicht, dass „nur Musliminnen über den Islam sprechen dürfen“. Ich sage, nur, dass die Positioniertheit der Sprecherinnen einen Unterschied macht.

[3] Die qualitative Sozialforschung verweist darauf, dass sich Mädchen bei entsprechenden Aushandlungen mit den Eltern in der Realität oftmals selbst auf die Religion beziehen, um herausfordernd in Frage zu stellen, inwiefern sich die entsprechenden elterlichen Verbote tatsächlich religiös begründen lassen. Dies ist für meine bewusst konstruierte Argumentation an dieser Stelle aber nicht relevant.