Geht es um die stark gestiegenen Preise für Gemüse, ihre Ursachen und mögliche Umgangsweisen, liest man teils allzu plumpe Vorstellungen. Dann werden die hohen Preise für Gurken als allgemeiner Indikator für Inflation verstanden und als Gegenmaßnahme eine Erhöhung des Einkommens der unteren Einkommensgruppen empfohlen, damit auch die sich noch frisches Gemüse leisten können und Gurken nicht zu einem Luxusgut werden.
Es ist grundlegend richtig und wichtig, den unteren Einkommensgruppen mehr Geld zu verschaffen, damit die ihr Leben bestreiten und sich angemessen ernähren können könnten. In dem Maße, in dem die gestiegenen Lebensmittelpreise tatsächlich durch allgemeine Inflation oder durch steigende Energiekosten verursacht sind, kann das auch beim Gemüsekauf Abhilfe schaffen.
Beschränkt man sich auf diese Perspektive, bleiben aber entscheidende Fragen der politischen Ökonomie des Klimawandels ausgeblendet.
Wenn nämlich die Preise für Gurken und Paprika durch die Decke gehen, weil in Spanien aufgrund von anhaltender Dürre kaum noch etwas geerntet wird und dies aufgrund des Klimawandels ein anhaltender Trend ist, wird monetäre Umverteilungspolitik an dem Problem fast nichts ändern. Wenn weniger Gurken geerntet werden, können auch weniger gegessen werden. Und wenn wir in einer Gesellschaft mit ökonomischer Ungleichheit leben, werden sie damit (zumindest außerhalb der regionalen Saison) eben zum Luxusgut. Daran wird sich wenig ändern, wenn die Löhne der unteren Einkommensgruppen und die Leistungen für Leistungsempfänger:innen steigern.
Allenfalls könnte dies zu einer internationalen „Umverteilung“ in dem Sinne führen, dass mehr Gurken auf den deutschen Markt und weniger in anderen Ländern landen – also ungefähr der Effekt, den die deutsche Gas-Politik des letzten Jahres auf Gas-Märkten hatte. Dann beseitigt man keine Lebensmittelarmut, sondern externalisiert sie. In gewissem Maße könnte mehr Kaufkraft mittelfristig auch zu mehr Nachfrage und somit zur Expansion der Produktion führen. Allerdings gibt es in einer Welt, in der Wasser zunehmend knapp wird und Energie auf absehbare Zeit knapp bleibt, auch nicht beliebig viele Möglichkeiten im europäischen Winter Gurken anzubauen, die es frisch und günstig in deutsche Supermärkte schaffen – Südspanien ist ja schon mit Gewächshäusern bedeckt.
Kurzum: Umverteilung von oben nach unten: Ja, bitte! Aber daran, dass sich weniger Menschen in Deutschland frisches nicht-saisonales Gemüse leisten können, wird das nur wenig ändern. Wenn keine revolutionären neuen Anbautechniken entstehen, werden wohl die meisten von uns Gurken im Winter öfter aus dem Glas und seltener aus der Gemüseabteilung holen.
(Eine mögliche Alternative wäre freilich eine Rationierung von Gurken, wenn das jemand wollen sollte. Eine Gurkenpreisbremse wäre auch keine Lösung.)