Erläuterung zu meinem gestrigen Facebookposting

(Eigentlich setze ich keine Blogposts ab, um Facebookpostings zu erläutern und zu kontextualisieren. Eigentlich finde ich nicht, dass man auf rechte Shitstorms, in denen einem Tod und Vergewaltigung an den Hals gewünscht werden, mit Gegenargumenten reagieren sollte. Allerdings gab es in Bezug auf mein gestriges Posting auch mit Personen, deren Urteile ich sehr schätze, Diskussionsbedarf. Zudem erregten sich auffällig viele von denen, die sich da erregten, über Dinge, die ich gar nicht geschrieben habe. Daher möchte ich hier noch einmal erläutern, worum es mir ging.)

Vergewaltigungen sind eine besonders schreckliche Art von Verbrechen. Sie sind in besonderem Maße traumatisierend für die Opfer; sie sind auf eine besondere Art und Weise mit gesellschaftlichen Machtstrukturen verbunden; und sie sind in vielen Kontexten weitgehend normalisiert. Daher halte ich sexuelle Gewalt im Allgemeinen und Vergewaltigungen im Besonderen auch für ein politisches und öffentliches Thema, das medial thematisiert werden sollte.

Dies gilt für Fälle, in denen mehrere Täter koordiniert handeln, umso mehr. Ich fände es angemessen, solche Fälle grundsätzlich als Hassverbrechen von öffentlicher und auch nationaler Relevanz zu behandeln, nämlich als Verbrechen, die aus einer (nicht nur unter den Tätern) kollektiv geteilten sexistischen Verachtung für die Opfer resultieren. Solche Hassverbrechen sollten entsprechend benannt und öffentlich thematisiert werden. Dies sollte idealerweise oft mit dem Hinweis geschehen, dass die übergroße Mehrheit von Vergewaltigungen im engsten privaten Umfeld geschehen, um nicht ein verbreitetes falsches Bild des Problems zu verstärken, aber es sollte geschehen.

Genau das passiert aber nicht. Ich schaue seit Jahren fast täglich Tagesthemen und kann mich nicht daran erinnern, dass jemals Vergewaltigungen Gegenstand der Berichterstattung waren, wenn nicht prominente Personen involviert waren oder es bereits eine breite gesellschaftliche Debatte um den Fall gab, die in der Berichterstattung dann auch explizit genannt wurde.

Dies war in den Tagesthemen vom 26. Oktober anders. Dort wurde im Nachrichtenblock einfach kurz der Tatablauf geschildert, der Stand der polizeilichen Ermittlungen wiedergegeben und zur nächsten Meldung übergegangen. Wenn das die neue Policy der ARD zum Umgang mit sexueller Gewalt ist, möchte ich das entschieden begrüßen. Jedoch sehe ich bislang keinen Anhaltspunkt dafür.

Es gab in den letzten Jahren in Deutschland immer wieder Fälle von Gruppenvergewaltigungen, soweit ich es überblicke jeweils mit durchwegs männlichen Tätern und ggf. weiblichen Komplizinnen. Wer nach „Gruppenvergewaltigung“ googelt und die Suche auf die entsprechenden Zeiträume eingrenzt, kann sehr schnell dieselben Berichte lesen wie ich. Eine Suche für die ersten neuneinhalb Monate des Jahres 2018 liefert sofort Fälle in Essen, Dessau, Schwalbach und Hamburg. Sucht man weiter in der Vergangenheit tauchen schnell Fälle in Bremen, Augsburg, Stuttgart, Bonn, Berlin, Hamburg usw. usw. auf. Mit jeder Minute, die man weitersucht, findet man neue Fälle, insofern sind diese Listen sicher unvollständig. Ich will an dieser Stelle keine Details der Fälle nennen und auch keine Links posten, sehe aber keinen Grund zur Annahme, dass diese Fälle weniger schrecklich gewesen wären als der aktuelle.

Es gab in einigen dieser Fälle nicht nur regionale, sondern auch nationale Berichterstattung – was ich immer noch begrüßenswert finde. Diese findet sich aber fast ausschließlich zum Zeitpunkt der jeweiligen Gerichtsprozesse – was durchaus Sinn macht, weil zu diesem Zeitpunkt weitaus mehr Informationen vorliegen. Schränkt man die Google-Suche auf die Tagesschau-Seite ein, finde ich bis Freiburg keinen einzigen Bericht über einen Fall von Gruppenvergewaltigung in Deutschland. Das kann freilich daran liegen, dass sich das Video-Archiv nicht ohne weiteres durchsuchen lässt, aber ich sehe keinen Hinweis darauf, dass es jemals einen Fall gab, in dem es  nicht um prominente Personen ging und bereits zum Zeitpunkt der Festnahme in den ARD-Abendnachrichten berichtet wurde. Auch das ist durchaus plausibel, weil Printmedien viel mehr Raum haben und entsprechend auch mehr berichten als Fernsehnachrichten.

Wie gesagt: Sollte die Berichterstattung über den aktuellen Fall die neue ARD-Policy zu sexueller Gewalt sein, begrüße ich dies ausdrücklich.

Allerdings liegt für mich eine andere Vermutung sehr viel näher: In den vergangenen Jahren gab es immer wieder massive rechte Shitstorms gegen die ARD und andere Medien, weil diese angeblich gezielt nicht über Verbrechen von Geflüchteten berichteten – obwohl diese Medien in diesen Fällen in Wirklichkeit einfach nur denselben Standards der Berichterstattung und Nichtberichterstattung folgten wie sonst auch. Am 26. Oktober trendete #Freiburg bei Twitter, auch in anderen sozialen Medien wurde das Thema intensiv diskutiert. Dabei empörten sich viele bereits unmittelbar nach Bekanntwerden der Tat über die vermeintlich absehbare mediale Vertuschung – ein rechter Shitstorm in Wartestellung. Daher vermutete ich beim Schauen der Tagesthemen, dass die redaktionelle Entscheidung für diese Meldung genau so begründet war: Man wollte sich nicht wie in Bezug auf Köln oder Kandel vorwerfen lassen, über Verbrechen nicht zu berichten, weil sie (unter anderem) von Geflüchteten begangen wurden. Um dies zu verhindern, berichtete man über ein Verbrechen, über das man sonst nicht berichtet hätte. Es kann gut sein, dass dies tatsächlich die beste aller Handlungsvarianten wäre, um wenig Angriffsfläche für rechte Shitstorms zu bieten und diesen von Vornherein den Wind aus den Segeln zu nehmen. Jedoch wäre es auch dann unterm Strich so, dass eines der wichtigsten Nachrichtenmedien seine Berichterstattung nach dem Druck von rechts ausrichtet. Es wäre unterm Strich so, dass über eine Tat berichtet wird, weil Geflüchtete unter Tätern sind, um den Eindruck zu vermeiden, man berichte gerade aus diesem Grund nicht.

Genau diese Vermutung hatte ich also, als ich gestern beim Frühstück wie üblich die Tagesthemen des Vorabends schaute, also setzte ich nach dem Frühstück ein entsprechendes kurzes Posting ab:

Wie meist bei kurzen Facebookpostings geschah dies ohne große Erläuterung oder Kontextualisierung oder Begründung, die ich nun in der Hoffnung nachliefere, dass mein Argument und sei gedanklicher Kontext zumindest für die verständlich ist, die es verstehen wollen – und sei es nur, um es zurückzuweisen.

 

Abschließend noch:

Es ging mir weder in meinem Posting noch in diesem Blogbeitrag um die Frage, ob die Nennung der Täterherkunft durch die Polizei und die meisten Medien legitim ist; ebensowenig geht es mir um die Frage, inwiefern die kulturelle Prägung der Täter für die Tat relevant war und wie man diese Relevanz erfasst. Ich halte beides für legitime und wichtige Themen der öffentlichen Diskussion, aber es waren gerade nicht die Themen, um die es mir ging.