Sklaverei ist nicht gleich Sklaverei, Freiheit ist nicht gleich Freiheit

Diskussionen über Sklaverei leiden oft unter allzu allgemeinen Begriffen. Dann wird ein einfacher Gegensatz zwischen „der Sklaverei“ und „der Freiheit“ konstruiert. Unter Sklaverei wird verstanden, dass eine Person einer anderen gehört und gezwungen ist, für diese zu arbeiten. Freiheit wird demgegenüber mit dem Recht identifiziert, hinfortzuziehen und sich andere Arten auszusuchen, das Leben zu führen und den Lebensunterhalt zu bestreiten. Falsch ist diese Entgegensetzung nicht, aber verkürzt und undifferenziert – und sie hat problematische ideologische Effekte nach beiden Seiten.

Auf der einen Seite werden damit verschiedene Arten von Sklaverei in ein und derselben Rubrik gefasst und als moralisches Übel gleicher Art verurteilt – Sklaverei im antiken Griechenland, im vorkolonialen Afrika, auf amerikanischen Plantagen und beim Stadionbau in Qatar. Auch das ist nicht per se falsch, denn Sklaverei ist immer ein Übel. Allerdings führt es zu einer ideologischen Relativierung des atlantischen Sklavenhandels im Rahmen des Kolonialismus. Denn die dort (insbesondere in den späteren Phasen) praktizierte Sklaverei war nicht einfach nur das allgemeine Übel unfreier Arbeit, sondern ein deutlich schlimmeres Übel. Im Englischen spricht man von „chattel slavery“. Anders als z.B. Sklav:innen im antiken Rom oder Griechenland waren die schwarzen Sklaven der Amerikas Opfer eines rassistischen Regimes, dem weder sie noch ihre Nachkommen legal entkommen konnten. In einigen anderen Formen von Sklaverei haben die Betroffenen die Möglichkeit, Geld zu verdienen und sich selbst freizukaufen. Schwarze Sklav:innen im System der chattel slavery hatten diese Möglichkeit nicht – und zwar explizit aufgrund einer Konstruktion von „Rasse“. Zudem waren die Kinder von Sklav:innen dort (anders als in manchen anderen Formen von Sklaverei) automatisch selbst Sklav:innen derselben Herr:innen. Wenn man findet, dass das Wort „chattel“ in „chattel slavery“ klingt, wie das englische „cattle“ für „Vieh“, so ist man der gemeinsamen Etymologie beider Begriffe auf der Spur.

Wenn man diese Besonderheit des atlantischen Sklavenhandels berücksichtigt, zerfallen auch die immergleichen (zuletzt von Egon Flaig in der FAZ formulierten) Apologien, denen zufolge es Sklaverei ja schon immer gegeben habe und die eigentliche europäische Innovation der Abolitionismus gewesen sei. Denn das von Europäer:innen und ihren Kolonien eingerichtete System war nicht einfach nur das allgemeine Übel der Sklaverei, sondern ein spezifisches Übel der rassistischen chattel slavery. (Und ja, auch Afrikaner:innen haben dieses System mitgetragen, aber das ändert nichts am Argument, das ja nicht darauf zielt, dass weiße Menschen besonders böse seien.)

Neben der Apologie der kolonialrassistischen Sklaverei hat die abstrakte Entgegensetzung von „Sklaverei“ und „Freiheit“ auch einen zweiten ideologischen Effekt: Sie verharmlost „freie Arbeit“. Abstrakt stimmt es: Im Allgemeinen ist die Freiheit, sich (im Rahmen dessen, was der Markt und die eigenen Möglichkeiten hergeben) Lohnarbeit oder Selbstständigkeit aussuchen zu können, der Leibeigenschaft vorzuziehen. Damit diese „Freiheit“ jedoch etwas wert ist, müssen neben dem Rechtsstatus auch weitere Bedingungen gegeben sein. In konkreten Fällen, waren viele „freie“ Arbeitskräfte in der Neuzeit sehr viel schlimmer dran als diverse Sklav:innen in der Geschichte (Stichworte: Pauperismus, ursprüngliche Akkumulation) – und im Falle einiger Plantagen in den Amerikas, hat die Veränderung des Rechtsstatus die Lebensrealität der Betroffenen kaum verändert.

Also ja: Freiheit ist gut und Sklaverei ist schlecht; aber Freiheit muss mehr sein als ein Rechtsstatus und manche Sklaverei ist schlechter als andere.