In einer von extremer Ungleichheit geprägten Welt sollten uns extreme Ungleichheitsideologien nicht überraschen. Über den „Rechtsruck“ und mögliche Gegenstrategien

Am 6. Juli sprach ich im Rahmen des 7. Menschenrechtsfestivals im Kölner Allerweltshaus über den sogenannten Rechtsruck und mögliche Gegenstrategien. Im Folgenden dokumentiere ich mein Manuskript.

Will man diskutieren, welche Strategien gegen den jüngsten Aufstieg der extremen Rechten zu wählen sind und welche nicht, muss man drei Ebenen betrachten: Erstens die Ebene der Ziele, damit man weiß, was man eigentlich will und warum man überhaupt gegen diese Rechte ist; zweitens die Ebene der Ursachen, damit man weiß, wo man ansetzen könnte; drittens schließlich die Ebene der Strategien, damit man weiß, was zu tun ist.

Zur Ebene der Ziele: Das, was die extreme Rechte zu einer extremen Rechten macht, ist zugleich der Grund, aus dem es geboten ist, sich ihr entgegenzustellen: Die Rechte vertritt eine Ideologie der Ungleichheit von Menschen. Statt von unteilbaren Menschenrechten geht sie davon aus, dass einige Menschengruppen kollektiv mehr wert sind und mehr Rechte verdient haben als andere. Will man eine Welt der Freien und Gleichen, muss man sich dem entgegenstellen.

Dabei darf man aber nicht naiv und selbstgerecht sein. Vielmehr muss man sehen, dass diese Ideologie der Ungleichheit in der politisch-ökonomischen Ordnung angelegt ist, in der wir alle, die wir hier im Raum versammelt sind, leben, deren Teil wir alle sind, von der wir alle profitieren und zu der wir alle aktiv beitragen. Diese real bestehenden Ungleichheiten, die das liberale Denken so gerne verdrängt oder verzerrt rechtfertigt, nimmt das rechte Denken sehr genau wahr und ideologisiert sie. Am deutlichsten wird dies anhand der Frage von nationalen Grenzen und Zugehörigkeiten: Die Ungleichbehandlung von Staatsbürger_innen und Nichtstaatsbürger_innen ist extrem und sie ist systematisch in der politischen Form des Nationalstaats angelegt. Das ändert sich auch durch supranationale Projekte wie die europäische Integration nicht. Es gibt keine Partei im Bundestag, die diese Ungleichheit nicht aktiv mitträgt. Auch die von der Linkspartei geführte Regierung in Thüringen führt Abschiebungen durch, Die Grünen haben im Bundesrat zahlreiche Gesetzesverschärfungen mitgetragen, von SPD, FDP und Union ganz zu schweigen. Daher bewegen sich die Rechten mit ihrer Ideologie der Ungleichheit nicht außerhalb der Normalität, vielmehr spitzen sie die problematischsten Aspekte der Realität zu.

Zur Ebene der Ursachen: Warum unterstützen Menschen diese Ideologie der Ungleichheit? Die Antwort ist recht einfach: Weil sie ihnen plausibel erscheint. Und warum scheint sie ihnen plausibel? Weil Menschen die realen Ungleichheiten der Welt tagtäglich in ihrem Alltag und in den Medien erfahren und weil sie diese irgendwie verarbeiten müssen. Beispielsweise wissen die Menschen mit legalem Aufenthaltstitel in Deutschland recht genau, dass sie gegenüber der übergroßen Mehrheit der Menschen an den südlichen und südöstlichen EU-Außengrenzen, die nach Europa wollen, unendlich privilegiert sind. Und wie stünde man denn da, wenn man die Rede von der Gleichheit aller Menschen ernstnähme und ernsthaft meinte, dass alle das Gleiche verdient hätten? Man stünde da wie die unverdiente Gewinnerin einer Lotterie, die nicht bereit ist, ihren Preis mit anderen zu teilen. Und das sogar noch, obwohl man selbst jeden Tag zu Arbeit geht, sich anstrengt und sehen muss, wie andere wesentlich mehr Wohlstand anhäufen – denn die meisten Menschen in Deutschland erleben Ungleichheit nach unten und nach oben. Was wäre da praktischer als eine Ideologie, die wenigstens die Ungleichheit nach unten rechtfertigt, indem sie den Lotteriegewinn zum verdienten Lohn umdeutet und das Schicksal der anderen zur gerechten Strafe für ihre Bösartigkeit?

Dies kann freilich allenfalls die Hälfte der Ursachen sein. Schließlich hat sich die globale Ungleichheit in den letzten Jahrzehnten nicht massiv verschärft, die Menschen sind nicht rassistischer eingestellt, aber die Rechte ist in zahlreichen Ländern politisch massiv gestärkt. Also ist zu fragen, warum das schon lange existente Potenzial für die Attraktivität extrem rechter Ungleichheitsideologien auf einmal aktualisiert wurde. Die Ursache hierfür dürfte – stark verkürzt gesprochen – darin bestehen, dass sich in den letzten Jahrzehnten viele Gewissheiten und Sicherheiten im ökonomischen wie im kulturellen Bereich aufgelöst haben, die sozialen Positionen vieler Personen entwertet wurden, keine selbstverständliche Erwartung eines sozialen Aufstieges mehr besteht. Eine solche Entwicklung lässt die ideologische und politische Absicherung der Ungleichheit nach unten umso attraktiver werden.

Nun schließlich zur Ebene der Strategien: Hier ist zweierlei zu unterscheiden. Erstens sind die Umsetzung und Normalisierung der Ungleichheitsideologien zu bekämpfen – egal ob sie von den extrem rechten Parteien selbst oder von anderen vollzogen wird. Wo immer es geschieht, sollte man sich entgegenstellen.

Zweitens ist zwar davon auszugehen, dass diejenigen, die die rechten Parteien unterstützen, dies auch deshalb tun, weil sie selbst den Ungleichheitsideologien anhängen und sie sich deren politische Umsetzung wünschen; das heißt aber nicht, dass man nicht einige von ihnen für eine andere Politik zurückgewinnen könnte. Dies sollte dann aber nicht dadurch geschehen, dass man selbst öffentlichkeitswirksam diskriminierende Politiken verfolgt. Es sollte dadurch geschehen, dass man an politisch-ökonomischen Programmen arbeitet, die etwas gegen die Erfahrungen von Unsicherheit tun.

Diejenigen, die weder durch Argumente gegen Ungleichheitsideologien noch durch solche Programme zu gewinnen sind, sind als politische Gegner_innen zu betrachten und zu behandeln. Weil das aber ein sehr kleiner Prozentsatz der deutschen Bevölkerung ist, sollte sich die Politik nicht immer nur um sie drehen. Vielleicht könnte man dann auch die Welt weniger ungleich gestalten – und eine Welt mit weniger Ungleichheiten sollte ganz unabhängig von der Rechten und ihren Erfolgen das Ziel sein.