Die am häufigsten misslingenden Witze sind „ironische“ Späße über Sexismus, Rassismus, Antisemitismus, Homophobie usw., bei denen der Humor dadurch entstehen soll, dass sexistische, rassistische, antisemitische, homophobe usw. Klischees reproduziert werden, obwohl es ja „gar nicht so gemeint“ ist. Ein Mann, der seinen Kolleginnen mitteilt, sie seien vielleicht doch am Herd besser aufgehoben; eine Weiße, die einen schwarzen Kollegen mit dem N-Wort bezeichnet; eine Hete, die „igittigitt“ sagt, wenn ein schwules Paar sich küsst – oder eben ein nichtjüdischer Comedian, der das Desinfektionsmittel herausholt, nachdem er einem jüdischen Comedian „zu nahe“ kam. Lustig.
Gerechtfertigt werden diese Witze in der Regel nicht nur damit, dass sie „nicht so gemeint“ sind, sondern auch damit, dass man sich dabei eigentlich nicht über Frauen, Schwarze, Jüdinnen, Homosexuelle usw. lustig mache, sondern über Sexismus, Rassismus, Antisemitismus, Homophobie usw., deren „Dummheit“ vorgeführt werden soll.
Wie nun bekannt wurde, hat Jan Böhmermann vor acht Jahren gemeinsam mit Serdar Somuncu und Klaas Heufer-Umlauf eine besonders misslungene Version dieses Witzes gemacht – mit Oliver Polak als dem Leidtragenden. Es ist zu vermuten, dass die drei sich das nicht nur deshalb „trauten“, weil sie selbst genau diese Art von Spaßvögeln sind, sondern weil auch Polak zu entsprechenden Witzen neigt – sowohl zu solchen über Antisemitismus als auch zu solchen „über Sexismus“ usw.
Nur besser wird es dadurch nicht.
Ja, es kommt darauf an, wer wo zu wem spricht
Tatsächlich handelt es sich um die Art Witz, bei der es einen Unterschied macht, von wem sie in welchem Kontext geäußert werden. Es ist eben nicht dasselbe, ob ein Witz über Auschwitz von einer jüdischen Person geäußert wird, deren Verwandte dort ermordet wurden oder ermordet werden sollten, oder von einer nichtjüdischen Person, deren Vorfahren mit hoher Wahrscheinlichkeit auf der Täter_innenseite involviert waren.
Dieser Unterschied und sich daraus ergebenden Unsicherheiten sind in den USA selbst schon wieder ein etabliertes Comedy-Sujet: Was darf die weiße Person wann sagen, welche Worte darf sie benutzen, wie reagiert wer?
Es kann sehr gut sein, dass sich in einer Freundschaft von Personen mit unterschiedlichen Positionen eine Routine einspielt, in der beide Seiten im intimen Rahmen solche Witze machen – und beide immer wissen, wie es gemeint ist.
Im Umgang mit Fremden oder weniger engen Bekannten funktioniert das aber kaum. Hier weiß man nie so genau, was die witzelnde Person „eigentlich meint“ und ob sie es nicht vielleicht doch irgendwie geil findet, eine Frau an ihren Platz zu verweisen. Und die witzelnde Person kann kaum wissen, ob die angesprochene es witzig findet oder nur widerwillig erträgt. Nicht selten dürfte die Lust an solchen Witzen genau von dem durchaus sadistischen Machtspiel ausgehen, dass etwa eine sexistische angesprochene Frau vor die Wahl gestellt wird, den ihr aus Erfahrung unangenehmen Spruch zu ertragen oder als humorlos dazustehen – dass also ein Mann Sexismus ausnutzt, um Macht über eine Frau auszuüben.
Neben dem Verhältnis der unmittelbar involvierten Personen ist auch der breitere Kontext relevant und insbesondere die Frage, ob es ein Publikum gibt. Bei diesem kann man erst recht nicht wissen, aus welchen Gründen es worüber lacht – und hier liegt es erst recht nahe, dass die vom Witz angesprochene Person mit Gründen davon ausgeht, dass über sie gelacht wird.
Was Böhmermann, Somuncu und Heufer-Umlauf getan haben ist also keinesfalls “harmlos” oder “nur ein Witz”, sondern es ist ein schlechter Witz, der auf Antisemitismus baut und auf Kosten eines Juden geht.
Warum man in Deutschland über Antisemitismus nicht sprechen kann
Der Grund, aus dem entsprechende Witze „über Antisemitismus“ oder „über den Nationalsozialismus“ in Deutschland so beliebt sind dürfte genau der gleiche Grund sein, aus dem man hier über Antisemitismus nicht sprechen kann: Anstelle einer Reflexion von Antisemitismus und Holocaust herrscht nur das vage Gefühl vor, dass alles damit Verbundene irgendwie verboten und gefährlich ist – viele Deutsche sind ja kaum in der Lage das Wort „Jude“ auszusprechen, ohne nervös zu werden. Entsprechend lustvoll-abenteuerlich ist es, wenn jemand „sich traut“, darüber öffentlich Witze zu machen – und die bloße Nennung des Namens Hitler in einem irgendwie komischen Kontext reicht für viele schon zum Losprusten.
Entsprechend spricht man von Antisemitismus in Deutschland auch nur, wenn er in Form eines klaren Regelverstoßes vorliegt – so was macht man doch nicht! Das klarste Beispiel hierfür waren die Debatten um Kollegah und Farid Bang im Kontext der (zum Glück letzten!) Echo-Verleihung. Schaut man sich Kollegahs Lyrics, Musicvideos und Interviews an, springt einem das antisemitische Weltbild aus allen Winkeln entgehen – aber das war zu keinem Zeitpunkt ernsthaft Gegenstand der Debatte. Denn wer weiß schon, was Antisemitismus ist? Zum Skandal wurde nur eine Zeile, in der Farid Bang frei von jeder Pietät über Opfer von Auschwitz witzelte – dass man das nicht macht, wissen alle!
So haben Jan Böhmermann und Kollegah, die sich bestens zu verstehen scheinen, nun eines gemeinsam: Sie hatten nun beide ihren Antisemitismusskandal, in dem es gar nicht um antisemitische Ideologie ging.
Nicht einmal eine Non-Apology
Aber eines hat Kollegah dann doch besser hinbekommen als Böhmermann: Er hat es geschafft, sich am Ende als reumütig und geläutert zu inszenieren. Zugegeben, er hatte dafür auch mehr Zeit, als Böhmermann, dessen Skandal erst einen Tag alt ist. Seine erste Reaktion ist aber wirklich fast die schlechtestmögliche.
Die zweitschlechteste ist die übliche Non-Apology, also die Aussage, dass man ja eigentlich gar nichts falsch gemacht hat, aber falsch verstanden worden sei und es einem nun Leid tue, dass die anderen einen falsch verstanden haben.
Aber nicht einmal dazu konnte Böhmermann sich durchringen, stattdessen beschimpft er Polak noch einmal:
Dabei wäre es gar nicht so schwer zu sagen:
Lieber Oliver Polak, wir wollten damals mit Dir einen Witz über Antisemitismus machen. Der Witz war schlecht. Wir wollten Dich nicht verletzten oder antisemitisch angreifen, haben uns aber keine Gedanken darum gemacht, wie sich das für Dich anfühlt. Das war dumm und falsch von uns. Es tut mir Leid, dass wir das damals getan haben.