Wo flutscht es, wo knirscht es? Ausblick auf den 15. Bundesparteitag der AfD

Am Wochenende findet in Essen der 15. Bundesparteitag der AfD statt. Während die einen sich auf Gegenproteste vorbereiten (und für Sonntag Regenklamotten einpacken sollten), liegt vor anderen (wie mir) ein Streaming-Marathon. Hier der Vorausblick auf die kommende Staffel der Reality-Drama-Show für Deutschland: Wo ist mit Harmonie, wo mit Zickenkrieg zu rechnen?

1. Das Unerwartete erwarten: Wenn die bisherigen AfD-Bundesparteitage eines gezeigt haben, dann, dass man ihre Dynamik nicht ohne weiteres vorhersehen kann. Das beste Beispiel ist der Parteitag in Riesa 2022, als nach anderthalb verhältnismäßig harmonischen Tagen zum Ende hin ein Streit um eine Resolution zur Europapolitik so eskalierte, dass man sich nur durch einen frühzeitigen Abbruch der Veranstaltung zu retten wusste. Diejenigen, die mitstreamen, sollten das Popcorn also nicht vorzeitig aufgegessen haben.

2. Machtkämpfe, aber keine Flügelkämpfe: So spektakulär wie 2015, als die AfD zum ersten Mal einen Parteitag in der Essener Grugahalle durchführte, der dann in der Spaltung der Partei resultierte, dürfte es aber nicht werden – denn die Zeit der echten Lagerkämpfe ist mit dem Austritt Meuthens und diverser Meuthenianer:innen vorbei. Ideologisch ist die AfD heute ein Nurflügler: Es gibt in der Partei keine machtpolitisch relevanten Kräfte mehr, die der extremen Rechten inhaltlich widersprechen. Wer in der AfD 2024 von Relevanz ist, teilt entweder die extrem rechte Ideologie aus innerer Überzeugung oder hat sich mehr oder weniger zähneknirschend mit ihr arrangiert oder verfolgt ohnedies nur zynisch Machtpolitik und Karrierepläne (wie es wohl für die beiden Bundessprecher:innen Alice Weidel und Tino Chrupalla gilt). Kämpfe gibt es aber dennoch – und sie werden auch in Essen ausgetragen werden. Dies sind zum einen banale Kämpfe um Macht und Posten, Ansehen und Geld. Zum anderen sind es Kämpfe um Parteistrategie und Stil im öffentlichen Auftreten. Der für gewöhnlich gut informierte BlueSky/Mastodon/Twitter-User KreuzAcht hat vorgeschlagen, drei Lager innerhalb des extrem rechten Flügels zu unterscheiden ( https://x.com/KreuzAcht/status/1806013956974068117 ): das auf eine disziplinierte Führerpartei zielende Lager um Björn Höcke, das sich an kleinen Skandalen, großbürgerlichen Gesten und Schampus erfreuende Lager um Maximilian Krah sowie das einen skandalärmeren Stil bevorzugende Lager um Sebastian Münzenmeier und René Springer. Daneben gibt es noch diverse Akteure, die auf eigene Rechnung arbeiten, sowie kleinere, zum Teil lokal oder regional begrenzte Netzwerke. Diese Akteure werden sich in Essen auf verschiedenen Feldern in verschiedenen Konstellationen beharken.

3. Gegenproteste: Weil die Partei ihren Bundesparteitag zum ersten Mal seit Jahren wieder in einer westdeutschen Großstadt veranstaltet und 2024 ohnehin das Jahr der bislang größten Anti-AfD-Proteste überhaupt ist, wird der Parteitag am Wochenende wohl so stark durch Gegenproteste geprägt sein, wie seit dem Kölner Parteitag von 2017 nicht mehr. Sowohl die Polizei als auch die Partei selbst haben so viel Erfahrung mit solchen Protesten, dass die Veranstaltung durch Blockadeversuche zwar mitunter verzögert, aber eher nicht unterbunden werden kann. Allerdings könnten die Proteste den Parteitag in der öffentlichen Wahrnehmung überstrahlen. Chancen, gegen diese aufmerksamkeitsökonomische Tendenz anzukommen, hätte die Partei wohl nur, wenn sie sich in spektakulärer Weise fetzt oder skandalöse Statements raushaut.

4. Vorstandswahlen 1: Abschied von der Doppelspitze? Weil dieses Jahr kein Programm verabschiedet und keine Wahlliste aufgestellt werden muss, sind die Vorstandswahlen die einzigen echten Entscheidungen, die anstehen. Dabei wird es zunächst darum gehen, ob die Partei am Modell einer Doppelspitze festhält oder auf ein Modell mit eine:r einzelnen Sprecher:in umstellt. Im letzteren Fall würde die Machtposition der Einzelspitze wohl noch dadurch gestärkt, dass ihr ein:e Generalsekretär:in zur Seite gestellt wird. Die explizite Option auf eine solche Umstellung hat Björn Höcke vor zwei Jahren in Riesa durchgesetzt. Im Antragsbuch findet sich zumindest ein Antrag, der den Posten der Generalsekretär:in einführen will (Antrag BS-8). Medienberichten zufolge wird dies sowohl durch Springer/Münzenmeier als auch durch Höcke unterstützt, Münzenmeier wird als möglicher Kandidat gehandelt. Auf Ablehnung stoßen könnte dies wohl bei drei Akteuren: erstens bei Chrupalla, der als derjenige gehandelt wird, der bei der Umstellung auf nur ein:e Sprecher:in weichen müsste – möglich, dass seine Co-Sprecherin Weidel ihn mit der Aussicht auf die alleinige Führungsrolle fallen lässt. Zweitens könnten Höcke-Gegner:innen fürchten, dass dieser immer noch darauf hinarbeitet, selbst die Parteiführung zu übernehmen. Drittens gibt es in der Partei eine verbreitete Ablehnung gegen Versuche, eine Einzelspitze einzuführen – vor zwei Jahren wurde dies u.a. vom Programmstrategen Albrecht Glaser mit den in der Partei denkbar schlimmsten Schimpfwörtern bedacht: „Merkelismus“ und „Luckeismus“.

5. Vorstandswahlen 2: Wer macht es? Weidel und Chrupalla haben eine gemeinsame Kandidatur für die (noch zwei) Sprecher:innenposten angekündigt. Öffentlich hat sich bislang niemand ernsthaft als Konkurrenz in Stellung gebracht. Dennoch dürfte es gerade für Chrupalla kein Selbstläufer werden, weil er (teils gemeinsam mit, aber stärker als Weidel) für die Probleme der letzten Monate (diverse Skandale und ein gemessen an den Umfragen enttäuschendes Europawahlergebnis) verantwortlich gemacht wird. Daher kann es gut sein, dass er zwar gewählt wird, aber mit einer peinlich knappen Mehrheit. Allerdings hat die Partei vor den Landtagswahlen im Osten ein strategisches Interesse daran, Chrupalla als ostdeutsches Gesicht an der Spitze zu halten (und nicht zu stark zu beschädigen). An der Besetzung der weiteren Vorstandsposten wird man sehen, wie stark die verschiedenen Flügel-Lager sind und inwiefern sie sich im Vorfeld absprechen.

6. Umgang mit Skandalen und Skandalnudeln. Es besteht erhebliche Unzufriedenheit in der AfD. Seit dem letzten Parteitag im Sommer 2023 konnte die Partei ihre damals schon starken Umfragewerte zwar zunächst noch verbessern, allerdings folgte auch eine Reihe von Skandalen und ein gemessen an diesen Umfragen bescheidenes Europawahlergebnis. Pikant ist: Innerhalb der AfD gibt es gegensätzliche Einschätzung darüber, worin die Probleme eigentlich bestehen. Die einen sehen die Verantwortung bei den Skandalnudeln Maximilian Krah und Petr Bystron sowie ihren Unterstützer:innen – und beim Bundesvorstand dafür, dass er sie als Spitzenkandidaten zuließ. Auf diese Verantwortungszurechnung zielen Anträge, die Gespräche mit internationalen Medien und Politikern bzw. das Annehmen von Geldspenden aus dem Ausland unter die Kontrolle des Vorstandes bzw. unter Strafe stellen wollen. Andere sehen das Problem imi Gegenteil darin, dass die Parteiführung (und der Höcke-Getreue René Aust) dem Druck von außen zu schnell nachgegeben hätten und zu leichtfertig von den Skandalnudeln abgerückt seien – sogar von „Verrat“ ist die Rede. Wenn diese Konflikte nicht schon im Vorfeld erfolgreich geschlichtet wurden, dürften sie in Essen für Reibereien sorgen.

7. Strategische Ausrichtung 1: Was tun im Europaparlamant? Nach dem von Marine Le Pen und ihrem Rassemblement National betriebenen Rauswurf aus der ID-Fraktion im Europäischen Parlament steht die AfD vor der Frage, was sie mit ihrer Delegation dort anfangen soll: Soll sie um die Aufnahme in eine der bestehenden rechten Gruppen buhlen (entwürdigend und vorerst wohl eher aussichtslos) oder soll sie mit anderen rechtsextremen (insb. wohl aus Ost- und Mitteleuropa) eine neue Gruppe gründen (riskant, weil einige von denen Aussagen treffen, die sogar der AfD peinlich sein könnten). Diese Entscheidung muss zwar nicht der Parteitag treffen, dennoch wird sie wohl Thema sein. Jedenfalls gibt es einige Anträge in dieser Frage. Dazu zählt ein „Du machts nicht mit mir Schluss, ich mache mit Dir Schluss!“-Antrag, der einen Austritt aus der Europapartei ID fordert (der beizutreten man beim Parteitag vor einem Jahr erst nach einigem Streit beschlossen hatte). Dies ist nach dem Rauswurf aus der zugehörigen Fraktion naheliegend und käme einem Ausschluss wohl nur zuvor.

8. Strategische Ausrichtung 2: Landtagswahlen. Im Herbst stehen drei Landtagswahlen an, bei denen die AfD hoffen kann, stärkste Kraft zu werden, und zumindest davon träumen darf, an einer Regierung beteiligt zu werden. Es bleibt abzuwarten, welche Rolle dies am Wochenende spielt.

9. Strategische Ausrichtung 3: Konkurrenz durch das BSW. Mit dem BSW ist der AfD eine neue Konkurrenz erwachsen – insbesondere mit Blick auf die genannten Landtagswahlen. Es bleibt abzuwarten, ob und inwiefern man sich am Wochenende dazu verhält.

10. Inhaltliche Aufstellung 1: Außenpolitik. Die Außenpolitik ist eines der wenigen politisch Felder, auf denen es in der AfD derzeit aktiv ausgetragene inhaltliche Gegensätze gibt. Einigen (insbesondere aus den Westverbänden) ist die bisherige russlandfreundliche Positionierung peinlich, anderen ist die Partei noch nicht prorussisch (prochinesich, antiamerikanisch) genug. Es gibt mehrere Anträge auf diesem Feld und es bleibt abzuwarten, wieviel Raum diese erhalten (mit einer Entscheidung zur Nichtbefassung könnte man den Konflikten aus dem Wege gehen).

11. Inhaltliche Aufstellung 2: Europapolitik. In der Europapolitik mäandert die Partei seit einigen Jahren zwischen einem Dexit-Beschluss und der Forderung nach einer Reform der EU hin und her. Dies hängt direkt mit dem Verhältnis zu anderen europäischen Rechtsparteien zusammen. So wirft man den Rechtsparteien aus „Nehmerländern“ und „Schuldenländern“ vor, ihre eigenen nationalen Interessen zu verfolgen, die den legitimen deutschen Interessen zuwiderliefen und letztlich auf das Abkassieren deutschen Geldes zielten. Auch dies spielt in einigen Anträgen eine Rolle, wiederum ist interessant zu sehen, ob und wie die Partei sich hier entscheidet – traditionell neigt der Parteitag zu schärferen Anti-EU-Positionen als es der Führung lieb ist.

12. Inhaltliche Aufstellung 3: Wirtschafts- und Sozialpolitik. Das Themenfeld Wirtschafts- und Sozialpolitik, auf dem die Positionen in der Partei ebenfalls heterogen sind, spielt seit dem Kalkaer „Sozialparteitag“ von 2020 keine große Rolle mehr – wenn es aber eine Rolle spielte, waren auf Parteitagen stets die marktliberalen Kräfte in der Mehrheit (auch wenn man in der Redaktion der „Zeit“ anderes zu glauben scheint). Der Aufstieg des BSW und die Wahlen im Osten könnten Anreize darstellen, dieses Thema wieder stärker aufzugreifen – es bleibt abzuwarten, ob dies in Essen geschieht.

13. Naziparolen: Werden Höcke und seine Verbündeten der Versuchung widerstehen, kurz vor dem Urteilsspruch im zweiten „Alles für Deutschland“-Prozess noch einmal nachzulegen und die Sagbarkeitsgrenzen für Naziparolen auszutesten?