Populismus, Globalisierung, Demokratie. Unter welchen Bedingungen kann populistische Mobilisierung ein Korrektiv gegen globalisierungsbedingte Demokratiedefizite sein?

Der folgende Text ist eine überarbeitete Version des Manuskripts für meinen Beitrag zum Workshop Probleme der Demokratie in Zeiten der Globalisierung, der am 29. und 30. Juni 2018 an der Universität Kassel stattfand. In dem Beitrag diskutiere ich die Frage, ob und unter welchen Bedingungen populistische Mobilisierung zur Korrektur globalisierungsbedingter Demokratiedefizite beitragen kann. Ich danke den Teilnehmer_innen des Workshops für ihre Hinweise und Kritik, die ich bei der Überarbeitung aufnahm.

Einleitung: Warum Trump gut für die Demokratie ist (vielleicht ein bisschen)

Es ist soziologisch wenig überraschend, dass sowohl ich selbst als auch die übergroße Mehrheit meiner Studierenden aus den unterschiedlichsten Gründen „gegen Trump“ sind – dies gilt sowohl für die deutschen als auch für die US-amerikanischen als auch für die anderen internationalen Studierenden in meinen Seminaren. Ich hege keinen Zweifel daran, dass es auch für die hier Versammelten gilt. Dagegen ist erst einmal nichts einzuwenden; jedoch ist allzu große politische Einhelligkeit weder didaktisch noch wissenschaftlich wünschenswert. Deshalb „zwinge“ ich meine Studierenden in Seminaren über Populismus mittels Aufgabenstellung dazu, die Arten und Weisen aufzuführen, auf die Donald Trump „gut für die Demokratie“ ist. Ebenso möchte ich uns hier mittels meines Vortrags dazu „zwingen“, diese Frage zu verfolgen.

Wenn ich meinen Studierenden diese Aufgabe stelle, führt das mit großer Regelmäßigkeit zuerst zu einem verunsicherten Lachen. Aber es dauert auch nie lange, bis ihnen Antworten einfallen.

Einige der dabei gesammelten Punkte können nur bedingt als Argumente „für Trump“ gewertet werden. Dies gilt insbesondere für die Beobachtung, Trumps Aufstieg habe dazu geführt, dass sich viele Menschen intensiv politisch und zivilgesellschaftlich engagieren, um Trump zu bekämpfen. Aus diesem erhöhten Engagement ein Argument „für Trump“ zu machen, wäre ungefähr so, als würde man ein verheerendes Feuer begrüßen, weil es das Bewusstsein für Brandschutz gefördert hat.

Jedoch tauchen in der Aufzählung stets auch Punkte auf, in denen Trump ein direkter positiver Effekt auf die Demokratie zugesprochen wird. Dabei wird erstens erwähnt, dass Personen und Milieus, die sich zuletzt nicht mehr am demokratischen Prozess beteiligt hatten, nun zur Wahl gehen, weil sie sich durch Trump endlich wieder repräsentiert fühlen. Zweitens und damit verbunden wird Trump zugesprochen, Themen zu setzen, die zuvor von keinen Akteur_innen mit Aussichten auf politischen Erfolg vertreten wurden. Beides sind gute demokratietheoretische Gründe.

Als dank Trump wieder vertretenes Milieu wird dann zumeist die „weiße Arbeiterklasse“ genannt, als dank Trump wieder gesetztes Thema unter anderem seine protektionistische Agenda. Ersteres ist eine Gruppe, die häufig als Verliererin der Globalisierung genannt wird, letzteres ist eine gegen den Kern der neoliberalen Globalisierung, nämlich den Freihandel, gerichtete Maßnahme.

Wenn meine Studierenden (die mit diesen Ansichten freilich keinesfalls alleine stehen) Recht haben, liegt ein historiographisches Narrativ nahe. Diesem Narrativ zufolge hat zunächst die neoliberale Globalisierung Demokratiedefizite produziert. Die populistische Mobilisierung nicht nur Donald Trumps setzt dann bei diesen Demokratiedefiziten an, mobilisiert gegen die Globalisierung und fördert dadurch – zumindest in gewissem Maße – Demokratie.

Jedoch ist das nicht einmal die Hälfte der Geschichte. Denn wie ich weder meinen Studierenden noch den hier Anwesenden näher darlegen muss, lässt sich auch eine lange Liste der Arten und Weisen anführen, auf die Trump der Demokratie schadet, insbesondere wenn er gegen Minderheiten, rechtsstaatliche Institutionen und Medien hetzt oder die Linie zwischen Lüge und Wahrheit gelinde gesagt verwischt. Zudem ist völlig klar, dass die Globalisierung und ihre Effekte keinesfalls die einzige und in meiner Sicht auch nicht die hauptsächliche Ursache für Trumps Erfolge sind. Es geht beim Trumpismus auch um die Erhaltung von Statusprivilegien, um Rassismus, um Sexismus und so weiter.

Nichtsdestotrotz möchte ich das Motiv der populistischen Demokratierettung im Folgenden ernsthaft diskutieren, weil sich anhand seiner das Verhältnis von Globalisierung, Populismus und Demokratie gut reflektieren lässt. Dabei ist der weitere Verlauf des Vortrages in vier Abschnitte gegliedert. Im ersten lege ich kurz dar, was ich hier unter den drei Begriffen verstehe. Im zweiten setze ich sie in den drei möglichen Zweierkonstellationen ins Verhältnis, um im dritten dann das soeben schon angedeutete historiographische Narrativ etwas genauer darzulegen. Im vierten und letzten Abschnitt beantworte ich dann die Frage, unter welchen Bedingungen und in welchem Maße populistische Mobilisierung tatsächlich als Korrektiv gegen globalisierungsbedingte Demokratiedefizite wirken kann.

1. Definitionen

Die Begriffe Globalisierung und Populismus zu definieren fällt nicht schwer.

1.1  Globalisierung

Beim Begriff Globalisierung existieren zwar viele im Detail abweichende Definitionen, im Kern ist er aber nicht umstritten. Unter Globalisierung verstehe ich hier mit den Worten von Christoph Scherrer und Caren Kunze einen „Prozess des Bedeutungsschwunds nationaler Grenzen für menschliche Aktivitäten […], der mit einem Bedeutungsgewinn für globale Bezugspunkte einhergeht“. Der Begriff wird zumeist mit starkem Fokus auf Ökonomie verwendet, aber auch in Hinblick auf Politik oder Kultur sind Prozesse des Bedeutungsschwunds nationaler Grenzen zu beobachten.

Es besteht ein weitgehender Konsens, dass es spätestens seit den 1980ern und beschleunigt seit den 1990ern zu einer intensiven Globalisierungswelle kam, in deren Rahmen die Deglobalisierung aus der Mitte des 20. Jahrhunderts rückgängig gemacht und ein bis dato unerreichtes Maß der globalen Verstrickung menschlicher Aktivitäten erreicht wurde.

Ökonomisch nahmen die grenzüberschreitenden Waren- und Kapitalströme zumindest bis zur großen Rezession 2009 kontinuierlich zu. Die Zunahme der Migration ist etwas unsteter und stärker von Ereignissen getrieben, aber ebenfalls unbestreitbar. Die politische Globalisierung verstanden als Expansion inter- und supranationaler Formen des Regierens ist deutlich schwächer ausgeprägt als die ökonomische Globalisierung, aber doch deutlich erkennbar, was zugleich einen Rückgang nationaler Souveränität bedeutet. Auch im kulturellen Bereich lässt sich allen nationalistischen und fundamentalistischen Gegenbewegungen zum Trotz eine Zunahme grenzüberschreitender Aktivitäten und globaler Bezüge beobachten.

Diese Globalisierung hat freilich in unterschiedlichen Regionen ganz unterschiedliche Ausprägungen und Konsequenzen, worauf ich unten etwas weiter eingehe.

1.2  Populismus

Der Begriff Populismus dagegen ist notorisch umstritten, wird oft als bloßer Kampfbegriff verwendet und steht im Ruf, sich einer klaren Definition zu entziehen, weshalb er von manchen als unbrauchbar abgelehnt wird. Dennoch hat sich in der wissenschaftlichen Debatte Cas Muddes Definition in den letzten Jahren weitestgehend durchgesetzt. Mudde zufolge ist Populismus eine dünne Ideologie, in deren Zentrum die Gegenüberstellung eines „reinen Volkes“ und einer „korrupten Elite“ sowie die Forderung nach der (Wider-)Herstellung echter Volkssouveränität steht.

Der Begriff der dünnen Ideologie soll dabei bedeuten, dass Populismus an sich keine inhaltlich elaborierte Weltanschauung ist, sondern eine vage und relativ offene Ideologie, die an je konkrete „Wirtsideologien“ andocken kann und muss. Diese „Wirtsideologien“ können eher links oder eher rechts sein, können Differenz eher bejahen oder verneinen, können eher inklusiv oder eher exklusiv sein. Sobald aber eine Ideologie durch das Motiv ergänzt wird, dass die Souveränität eines „reinen Volkes“ gegen „korrupte Eliten“ durchgesetzt werden muss, handelt es sich um Populismus.

Der Begriff des Populismus ist in mehrfacher Hinsicht auszudifferenzieren. Die wichtigste Unterscheidung ist die zwischen linkem und rechtem Populismus. Rechter Populismus ist dabei insbesondere dadurch bestimmt, dass er das „reine Volk“ nicht nur gegen „korrupte Eliten“, sondern auch gegen in der Regel rassifiziert gefasste „gefährliche Andere“ angrenzt und im Innern  im Innern eine autoritäre Ordnung fordert.

Historisch lassen sich seit dem 19. Jahrhundert immer wieder Konjunkturen solcher Bewegungen beobachten. Zuletzt galt dies insbesondere für Lateinamerika, wo seit Ende der 90er insbesondere linkspopulistische Projekte Erfolge feierten, sowie für Europa und die USA, wo sowohl rechts- als auch linkspopulistische Projekte spätestens seit der großen Rezession auf dem Vormarsch sind.

1.3  Demokratie

Deutlich schwerer fällt die Definition von Demokratie, denn schließlich handelt es sich dabei um den Schlüsselbegriff der modernen politischen Theorie, der – wie wir in den letzten beiden Tagen gesehen haben – entsprechend umkämpft ist.

Im Kontext meiner Fragestellung ist es pragmatisch, einen Demokratiebegriff zu wählen, der dem Selbstverständnis der meisten mit Populismus und Globalisierung konfrontierten Demokratien nahekommt. Dieses Selbstverständnis konzeptualisiert Demokratie zumeist als liberale Demokratie, markiert durch zwei Dimensionen, nämlich Volkssouveränität bzw. kollektive Selbstregierung einerseits und Rechtsstaatlichkeit bzw. individuelle Selbstbestimmung andererseits.

Ich bin nicht überzeugt, dass mit dieser Konzeption von Demokratie das letzte Wort der politischen Philosophie gesprochen sein muss. Allerdings stehen beide Dimensionen für normative Güter, die womöglich „aufgehoben“ und anders realisiert werden können, aber als individuelle und kollektive Selbstbestimmung erhalten bleiben müssen. Daher bleibt es relevant zu fragen, wie sich Globalisierung und Populismus zu ihnen verhalten.

Die Dimension der Volkssouveränität wird in liberalen Demokratien in Form einer repräsentativen Demokratie gedacht, bei der durch allgemeine, freie, gleiche und geheime Wahlen eine Legislative und eine Exekutive bestimmt werden, die nach dem so abgefragten souveränen Willen des Volkes Gesetze geben und ausführen. Die Dimension der Rechtsstaatlichkeit schützt die (Menschen-)Rechte von Individuen und Minderheiten gegen den Zugriff dieses Souveräns. Damit die beiden Dimensionen die ihnen zugedachten Zwecke erfüllen können, bedarf es nicht nur formalisierter Prozeduren und Institutionen, die eingehalten und respektiert werden, sondern auch einer demokratischen Öffentlichkeit, in der Themen generiert, Probleme artikuliert und Politiken diskutiert werden.

Mit der Bezeichnung von Volkssouveränität und Rechtsstaatlichkeit als zwei Dimensionen der Demokratie ist eine geometrische Metapher eingeführt, die man noch etwas weiterspinnen kann: Wie alle zweidimensionalen Formen, hört Demokratie auf zu existieren, wenn eine der Dimensionen verschwindet – genauso wie ein Rechteck, bei dem sich eine der Seitenlängen auf null reduziert, nicht nur einen Flächeninhalt von null erhält, sondern auch kollabiert und aufhört, ein Rechteck zu sein.

Habermas‘ Gleichursprünglichkeitsthese interpretiere ich so, dass Analoges für liberale Demokratie gilt: Reduziert man sie auf die Volkssouveränität, indem man die Rechtsstaatlichkeit und die damit einhergehenden Garantien nivelliert, kommt man zunächst bei dem an, was als „illiberale Demokratie“ bezeichnet wird – ein Begriff, der im den 1990ern von Fareed Zakaria als kritischer Begriff in die Debatte geworfen und zuletzt von Viktor Orbán positiv reklamiert wurde. Eine Demokratie ohne Rechtsstaatlichkeit führt zunächst mit einiger Notwendigkeit dazu, dass individuelle Freiheiten und die Rechte von Minderheiten unter die Räder kommen – genau das ist gewissermaßen der Zweck einer illiberalen Demokratie. Aber damit hört das Problem nicht auf. Es ist auch so, dass eine illiberale Demokratie aufhört, legitime Volkssouveränität zu haben. Ohne die Garantien für individuelle Freiheiten und Rechte kann es keine öffentliche Debatte und keinen politischen Wettbewerb geben; ohne öffentliche Debatte und politischen Wettbewerb ist der Wahlprozess selbst beschädigt, sodass die Wahlsieger keine wirkliche demokratische Legitimität für sich beanspruchen können (was der Zustimmung im eigenen Land freilich keinen Abbruch tun muss). Im Grenzfall läuft illiberale Demokratie auf Carl Schmitts Verständnis von Demokratie hinaus, dem zufolge Volkssouveränität sich darin zeigen soll, dass eine homogene Masse den Entscheidungen eines Führers akklamiert – wer Unmittelbarkeit gegen Verfahren ausspielt, zerstört alles, was an der liberalen Demokratie erhaltenswert ist.

Reduziert man Demokratie dagegen auf Rechtsstaatlichkeit ohne Volkssouveränität, wird andersherum auch der normative Kern der Rechtsstaatlichkeit zerstört. Liberale Demokratie ist historisch und systematisch mit der kapitalistischen Produktionsweise verschwistert, und dieser Kapitalismus produziert nicht nur eine ungeheure Warensammlung, sondern auch Ungleichheit, Krisen und Elend. Diese Effekte sind in den modernen Wohlfahrtsstaaten vor allem dadurch abgefedert, dass soziale Bewegungen gegen derartige Missstände ankämpften und ihre Forderungen in vielfältiger Weise kooptiert und in das Recht inkorporiert wurden. Diese Art von „Erfolg“ wäre ohne die Bedrohung der herrschenden Ordnung durch Wahlen nach dem Mehrheitsprinzip kaum vorstellbar gewesen. Ein liberaler Rechtsstaat ohne Volkssouveränität würde mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Staat, der Eigentums- und Kapitalinteressen noch systematischer bevorzugt und soziale Rechte einkassiert. Damit würde er eben auch zu einem Unrechtsstaat – das Schreckgespenst heißt hier nicht Carl Schmitt, sondern Friedrich August von Hayek.

2. Zweierpaare

Um das Verhältnis von Globalisierung, Populismus und Demokratie zu diskutieren, ist es zweckmäßig, zunächst die drei möglichen Zweierpaarungen in Betracht zu nehmen. Diese werden in der gängigen Forschungsliteratur schon lange diskutiert.

2.1  Globalisierung als Einschränkung der Demokratie

In den 1990ern und 2000ern stand zunächst das Verhältnis von Globalisierung und Demokratie im Zentrum der Aufmerksamkeit – zumeist mit Fokus auf die Frage, inwieweit die dominante, auf Marktliberalisierung basierende Form der Globalisierung die Demokratie unterminiert.

Eine klassisch gewordene Formulierung dieser Unterminierungsthese hat der in den beiden letzten Tagen schon mehrfach zitierte Colin Crouch unter dem Label „Postdemokratie“ vorgelegt. Crouch zeichnet ein düsteres Bild vom gegenwärtigen Status der westlichen Demokratien als politische Gemeinwesen, in denen zwar noch Wahlen abgehalten würden, die tatsächliche Willensbildung und Themensetzung aber im Rahmen einer technokratischen Expertokratie vollzogen werde; Gewerkschaften würden geschwächt, seien von den ihnen traditionell nahestehenden Parteien des linken Zentrums verlassen und gegenüber den gestärkten transnationalen Unternehmen verhältnismäßig machtlos. Wolfgang Streeck formuliert ähnliche Thesen mit Fokus auf die europäische Union, die er in Richtung einer hayekianischen Diktatur steuern sieht.

Diese These einer Entdemokratisierung durch Globalisierung ist in mehrfacher Hinsicht zu relativieren:

Erstens bezieht sich die von Crouch, Streeck und anderen beschriebene Entdemokratisierung zumindest in den westlichen Demokratien fast ausschließlich auf die Dimension der Volkssouveränität. In der Dimension der Rechtsstaatlichkeit werden Freiheitsrechte und Minderheitenrechte dagegen im selben Zeitraum eher gestärkt. Daher müsste man genauer von einer Verschiebung von einer Dimension liberaler Demokratie in die andere sprechen.

Zweitens ist die Frage der Kausalität auszudifferenzieren: Es wäre nicht nur zu einfach, sondern falsch, die Globalisierung einfach als Ursache für die Verschiebungen in Gesellschaft und politischem System zu benennen. Vielmehr sind Globalisierung und Neoliberalisierung verschränkte Prozesse, bei denen es unmöglich ist, Henne und Ei zu benennen. Insbesondere ist zu betonen, dass Globalisierung kein von außen kommendes Schicksal ist, das über die Staaten hereingebrochen wäre. Vielmehr war die Globalisierung Teil und Ergebnis einer Liberalisierungspolitik, die verschiedene Regierungen seit den späten 1970er Jahren betrieben haben, um mit ökonomischen Krisen umzugehen. Somit hat nicht einfach die Globalisierung die Demokratie unter Druck gesetzt. Vielmehr haben sich demokratisch gewählte Regierungen entschieden, ökonomischen Krisen durch eine Liberalisierungsstrategie zu begegnen, die Globalisierung und eine Einschränkung der Volkssouveränität umfasst.

Drittens kann keinesfalls global davon gesprochen werden, dass die Staaten global an Souveränität oder gar Macht verloren hätten. Einige Staaten, insbesondere China und Deutschland, haben durch die Globalisierung und Europäisierung erheblich an Macht gewonnen – wobei freilich zu bezweifeln ist, wie demokratisch diese Macht ist.

Viertens schließlich ist zu betonen, dass die globalisierende Liberalisierung und ihre entdemokratisierenden Effekte in verschiedenen Regionen sehr unterschiedlich wirkten und wirken. In den OECD-Ländern bestehen die sozialen Verwerfungen in hohem Maße in der von Crouch, Streeck und anderen benannten Machtverschiebung von organisierter Arbeitskraft zu organisiertem Kapital und damit in Prekarisierung und Flexibilisierung der Arbeitsmärkte. In den sich industrialisierenden Ländern insbesondere Asiens bestehen die am stärksten sichtbaren Effekte in einer Proletalisierung (was im Falle weiter Teile der Landbevölkerung durchaus einen sozialen Aufstieg bedeuten kann) sowie in der Herausbildung einer neuen Mittel- und Oberschicht (was einer liberalen Demokratie mittelfristig nicht abträglich sein dürfte). In wieder anderen Ländern dominieren Effekte von Landgrabbing oder in fortgesetztem Extraktivismus.

In Europa besteht zudem die Besonderheit, dass die mit der Globalisierung verbundenen Effekte im Rahmen der europäische Integration eine einmalige Form annehmen. Hier ist die Einschränkung nationaler Souveränität besonders ausgeprägt, allerdings auch der Aufbau supranationaler Institutionen. Nichtsdestoweniger ist im Rahmen dessen, was sich nach Fritz Scharpf als Primat der „negativen Integration“ bezeichnen lässt, eine Priorisierung von ökonomischer Liberalisierung zu erkennen, mit der die supranationale Regulierung nicht schritthält.

2.2  Populismus als Reaktion auf die Globalisierung

Das Verhältnis von Globalisierung und Populismus wird zumeist dergestalt diskutiert, dass Populismus als Reaktion auf Globalisierungseffekte verstanden wird. Dies geschieht in zwei Weisen: erstens als Hinweis darauf, dass die Agitation gegen Globalisierung zu den zentralen ideologischen Elementen populistischer Mobilisierung zählt; zweitens in Bezug auf die Frage, inwieweit Globalisierung und die von ihr produzierten sozialen Verwerfungen (Mit-)Ursache des Populismus sind.

Der erste Punkt liegt anhand des bisher Gesagten sehr nahe: Wenn Globalisierung mit einer Schwächung der Volkssouveränität einhergeht und die Einforderung von Volkssouveränität im Kern populistischer Ideologie steht, liegt eine Gegnerschaft des Populismus zur Globalisierung nahe. Jedoch ist diese Gegnerschaft keinesfalls immer selbstverständlich. So gibt es sowohl in Europa als auch in den USA als auch in Lateinamerika durchaus die Tradition eines entschieden neoliberalen und damit der Globalisierung zumindest wahlverwandten Mittelschichtspopulismus. In Europa war die Ablehnung von Steuer- und Wohlfahrtsstaat bis vor einigen Jahren Markenkern des Rechtspopulismus bzw. die Hälfte seiner „Winning Formula“ (Herbert Kitschelt); in den USA fanden sich entsprechende Mobilisierungen immer wieder, zuletzt in Form der Tea-Party-Bewegung; in Lateinamerika gab es mit Alberto Fujimori in Peru in den 1990ern einen erfolgreichen neoliberalen Populisten.

In den letzten Jahren haben sich Populismen aber zunehmend gegen Neoliberalismus und Globalisierung aufgestellt. Für die linken Populismen in den verschiedenen Regionen ist die Mobilisierung gegen neoliberale Globalisierung ohnehin Teil des Markenkerns. Auch einige rechtspopulistische Parteien in Europa inszenieren sich zunehmend als Verteidigerinnen des Wohlfahrtsstaates; Donald Trump positioniert sich immerhin deutlich gegen Freihandel als zentralen Aspekt der Globalisierung. Wie die ersten Reformen der aktuellen österreichischen Regierung sowie Trumps Steuerreform zeigen, steht diese Positionierung einer neoliberalen Reformpolitik bzw. einer Umverteilung von unten nach oben nicht im Wege. Dennoch ist die Verschiebung nicht nur rhetorisch – sonst würde Trump keinen Handelskrieg anzetteln.

Der zweite Punkt, also die These, dass die Globalisierung auch als Ursache oder Stärkung des Populismus zu gelten hat, ist – wie bei Kausalitäten üblisch – sehr viel schwerer zu belegen. Die Behauptung, dass in erster Linie reale ökonomische „Globalisierungsverlierer_innen“ rechtspopulistisch wählen, ist zumindest nicht ohne weiteres zu erhärten. Sehr wohl ist jedoch festzuhalten, dass viele derjenigen, die rechtspopulistisch wählen, sich in weit überdurchschnittlichem Maße als Verlierer_innen der Globalisierung fühlen oder sich durch dieselbe in ihrem Status bedroht sehen.

2.3  Populismus als Indikator und Korrektiv für Demokratiedefizite

Nach dem Verhältnis von Populismus und Demokratie wird gängigerweise mit der Formulierung gefragt, ob Populismus Gefahr oder Korrektiv für Demokratie sei.

Zuvor ist jedoch festzuhalten, dass populistische Erfolge ein Indikator für Demokratiedefizite sein können. Eine Mobilisierung, die Menschen als „das Volk“ anspricht, dessen Souveränität wiederherzustellen sei, hat dann Aussichten auf Erfolg, wenn große Teile der Bevölkerung sich im politischen System nicht repräsentiert fühlen. Ein solches Gefühl verweist so oder so auf ein Demokratieproblem: Hat das Gefühl des Nichtrepräsentiertwerdens eine legitime Grundlage, besteht ein Demokratiedefizit des politischen Systems; hat das Gefühl keine legitime Grundlage, besteht ein Defizit demokratischen Bewusstseins in der Bevölkerung.

Darüber hinaus wird Populismus in der Literatur auch als mögliches Korrektiv für Demokratiedefizite gehandelt. Die hier verwendeten Definitionen legen insbesondere eine Art und Weise nahe, auf die dies der Fall sein kann: Populistische Ideologien bejahen mit großer Emphase eine Dimension der Demokratie, nämlich die Volkssouveränität, während sie der anderen Dimension, nämlich der Rechtsstaatlichkeit sehr unterschiedlich und teils feindlich gegenüberstehen. Wenn daher eine Konstellation vorliegt, in der die Seite der Volkssouveränität eingeschränkt ist, also politische Entscheidungsprozesse insgesamt oder bezogen auf bestimmte Bevölkerungsteile gegenüber Input abgeschirmt sind, kann populistische Mobilisierung als Korrektiv wirken – sei es, indem populistische Akteur_innen selbst einen Weg ins politische System finden, sei es indem andere Akteur_innen die zugrundeliegenden Defizite adressieren, sei es durch eine grundlegende Transformation des politischen Systems. Mudde und Rovira Kaltwasser vertreten ein Modell, dem zufolge Transitionen von der Diktatur zur Demokratie in gewissen Phasen stark von populistischer Mobilisierung profitieren können.

In der US-amerikanischen Geschichte haben populistische Bewegungen immer wieder in solcher Weise Milieus und Interessen eine Stimme verschafft, die vorher politisch nicht repräsentiert waren – dies gilt sowohl für die Populist Party im späten 19. Jahrhundert als auch für Huey Longs „Share our Wealth“-Bewegung in der Zwischenkriegszeit. Für Lateinamerika gilt ähnliches.

Bevor ich auf die potenziellen demokratieschädigenden Effekte populistischer Mobilisierung eingehe, gilt es zunächst die drei Zweierpaare zusammenzufügen.

3. Ein kleines historiographisches Narrativ über die Rettung der Demokratie durch den Populismus

Diese Zusammenfügung ergibt – zumindest in Bezug auf die westlichen Demokratien – das eingangs skizzierte historiographische Narrativ, in dem jedes der Paare einen von drei aufeinanderfolgenden Schritten repräsentiert:

3.1  Narrativ

Im ersten Schritt unterminiert die neoliberale Globalisierung die liberalen Demokratien insbesondere in der Dimension der Volkssouveränität. Im zweiten Schritt entstehen – als Reaktion auf diese Prozesse – neue Formen der populistischen Mobilisierung, die gegen die Globalisierung und ihre Effekte gerichtet sind. Im dritten Schritt haben diese Populismen das Potenzial als Korrektiv einen Ausgleich des Demokratiedefizits zu bewirken.

Aber so einfach ist es natürlich nicht.

Es ist kein Zufall, dass es insbesondere schmittianische Autor_innen von rechts und links sind, die ein solche Narrativ konstruieren und entsprechend große Hoffnungen in den Populismus setzen.

3.2 Rechter Schmittianismus

Wenn man ein echter rechter Schmittianer ist, wie man sie hierzulande zwar kaum an Universitäten, aber doch in neurechten Think Tanks findet, geht man davon aus, dass Demokratie eines homogenen Volkes mit klarer Identität bedürfte. Die Globalisierung gilt dann sowohl in ihrer ökonomischen als auch in ihrer politischen und insbesondere in ihrer kulturellen Dimension als Zersetzung dieser Homogenität. Indem Populismus nun die Identität des Volkes beschwört und sie gegen die Eliten der Globalisierung mobilisiert, kann er aus dieser Sicht die Homogenität wiederherstellen und zum Retter der Demokratie vor der Globalisierung werden.

3.3 Linker Schmittianismus

Deutlich anders, aber ähnlich optimistisch klingt die linksschmittianische Version des Narrativs, die insbesondere Chantal Mouffe vertritt. Auch wenn Mouffe kein ausgeprägtes Interesse daran zeigt, ihre Position politisch-theoretisch zu begründen, so setzt sich ihr Demokratieverständnis in entscheidenden Punkten von dem ihrer wichtigsten theoretischen Referenz Carl Schmitt ab. Für sie besteht Demokratie gerade nicht darin, dass ein durch Ausschluss des Fremden homogen gehaltenes Volk einem Führer akklamiert. Vielmehr besteht Demokratie darin, dass innerhalb des politischen Gemeinwesens Differenzen artikuliert und konflikthaft ausgetragen werden. Doch auch die so verstandene Demokratie ist Mouffe zufolge seit den 1980ern durch den politische Differenzen verwischenden und damit depolitisierenden Liberalismus unterminiert worden. Daher hofft auch sie auf Abhilfe durch einen die Demokratie rettenden Populismus, der wieder die soziale Frage stellen und repolitisieren soll.

Dabei unterscheidet sich der von ihr gewünschte Populismus freilich deutlich von dem der Neuen Rechten. Denn sie insistiert – weiterhin ohne eingehende politisch-theoretische Begründung – darauf, dass politischen Differenzen in einer nicht militanten Weise ausgetragen werden sollen, also zwischen politischen Gegner_innen, nicht zwischen Feind_innen. Zudem liegt bei Ihr unter all dem Konflikt noch das Prinzip der Gleichheit aller Menschen liegen. Ein Populismus, der „das Volk“ gegen Minderheiten und Feinde aufhetzt, ist also gerade nicht in ihrem Sinne, da ist Mouffe unausgesprochenerweise selbst liberal – zum Glück!

Damit wird deutlich, dass aus dieser linksschmittianischen Sicht nicht jede populistische Agitation als Rettung der Demokratie vor Globalisierung und Neoliberalismus legitimiert werden kann. Nicht nur rechte Populismen gehen oftmals mit Feinderklärung und Antiegalitarismus einher. Nicht zufällig nehmen die Bilder von „reinem Volk“ und „korrupten Eliten“ regelmäßig rassistische und antisemitische Formen an, so dass Populismus immer wieder mit einer Hetze gegen Minderheiten einhergeht. Damit werden einerseits Feinde konstruiert und wird andererseits die Gleichheit aller bestritten.

Diesen von Mouffe teils implizit, teils explizit gemachen Einschränkungen stimme ich zu. Jedoch macht sie es dem Populismus immer noch zu einfach, ist immer noch zu optimistisch. Das gilt insbesondere deshalb, weil Mouffes Verständnis von Demokratie die Rolle von Recht und Verfassung nicht systematisch würdigt, so dass sie zu einer Unterschätzung des im schlechtesten Sinne antiliberalen Potenzials von Populismus neigt.

Daher geht es mir im letzten Abschnitt meines Vortrages darum, das Narrativ eines rettenden Populismus noch etwas weiter zu verkomplizieren und aufzuzeigen unter welchen, relativ anspruchsvollen Bedingungen, es haltbar sein kann.

4. Drei Bedingungen für die Haltbarkeit des Narrativs vom rettenden Populismus

Dieser Bedingungen möchte ich hier drei formulieren.

4.1  Das Demokratiedefizit muss wirklich bestehen

Die erste mag trivial klingen, aber ich halte es für wichtig, sie auszubuchstabieren. Sie besteht darin, dass die monierten und zu korrigierenden Demokratiedefizite tatsächlich bestehen und dass sie tatsächlich Demokratiedefizite sind. Wenn Männer den Verlust patriarchalischer Macht als Verlust ihrer demokratischen Souveränität erleben, ist das kein Demokratiedefizit, das zu beheben wäre, sondern eine antidemokratische Reaktion auf gesellschaftliche Demokratisierung. Tatsächlich fällt auf, dass rechtspopulistische Mobilisierung in westlichen Demokratien insbesondere unter weißen Männern der Mittelschicht erfolgreich ist, weshalb es als wahrscheinlich erscheint, dass es hier zumindest in Teilen um die Kompensation eines stattgefundenen oder um die Abwehr eines befürchteten Privilegienverlustes geht.

Dabei ist es freilich entscheidend, intersektional zu denken: Es ist nicht nur möglich, sondern wahrscheinlich, dass dieselben Personen zugleich von einem (gefürchteten) Privilegienverlust als auch von echter Entdemokratisierung in der Arbeitswelt betroffen sind. Entscheidend für die Legitimität populistischer Mobilisierung wäre dann, dass sie die entsprechenden Subjekte in letzterer, nicht aber in ersterer Eigenschaft zu repräsentieren sucht.

4.2  Die populistische Mobilisierung darf grundlegenden demokratischen Normen nicht widersprechen

Die zweite Bedingung besteht darin, dass die populistische Mobilisierung, die zur Disposition steht, neoliberale Entdemokratisierung skandalisiert, ohne dabei gegen Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und Minderheitenrechte zu mobilisieren, ohne die Vermittlung institutioneller Prozeduren durch Unmittelbarkeit aufzuheben, ohne „das Volk“ in Abgrenzung gegen rassifizierte Andere zu definieren, und auch ohne „die Eliten“ in strukturell antisemitischen Farben zu malen. Dabei ist es keinesfalls so, dass damit sich als links verstehende Populismen automatisch auf der legitimen Seite stünden. Sowohl das Ausspielen von sozialen Rechten gegen Freiheitsrechte als auch rassifizierendes Othering als auch Antisemitismus lassen sich hier immer wieder beobachten.

4.3  Die populistische Mobilisierung sollte ein ökonomisches Programm zur Adressierung der Demokratiedefizite haben

Drittens schließlich muss die populistische Mobilisierung auch tatsächlich ein politisches bzw. politisch-ökonomisches Programm parat haben, das eine Korrektur der globalisierungsbedingten Demokratiedefizite ermöglicht. Damit ist nicht unbedingt ein abgeschlossener Masterplan mit Erfolgsgarantie gemeint – man kann beispielsweise SYRIZA keinen ernsthaften Vorwurf daraus machen, nach ihrer Wahl relativ machtlos geblieben zu sein. Jedoch scheint mir Mouffes Rezept, einfach mal die soziale Frage zu repolitisieren, etwas zu kurz gedacht. Wenn man nach der Politisierung der sozialen Frage kein ökonomisches Programm zu bieten hat, das auch tatsächlich Gleichheit, Wohlstand, Sicherheit und Selbstbestimmung der Mobilisierten mehrt, wird eine solche Mobilisierung wohl eher zu einer demokratiegefährdenden Frustration als zur Demokratisierung beitragen. Wenn man Streecks krisentheoretische Analyse der letzten Jahrzehnte ernst nimmt, wird eine solche Agenda, die innerhalb des bestehenden liberaldemokratisch-kapitalistischen Frameworks Krisen bearbeitet, nicht leicht zu finden sein.

Fazit

Jede populistische Mobilisierung kann als Indikator für Demokratiedefizite verstanden werden und populistisch Mobilisierung hat das Potenzial als Korrektiv zu wirken. Mit jedem Verstoß gegen die drei hier genannten Kriterien wird es aber wahrscheinlicher, dass sie der Demokratie mehr schadet als nützt.

Das Beispiel aus der Einleitung wieder aufnehmend kann ich uns nun alle beruhigen: Die populistische Mobilisierung Donald Trumps dürfte ebenso wie die der AfD oder die der FPÖ keinem dieser drei Kriterien genügen. Wir dürfen weiterhin dagegen sein – aber nicht, weil diese Akteur_innen populistisch sind, sondern weil ihr Populismus antidemokratisch ist.