Zehn Dinge, auf die ich beim AfD-Bundesparteitag achte

Am Wochenende findet in Riesa der 16. Bundesparteitag der Alternative für Deutschland statt. Anlass sind die vorgezogenen Bundestagswahlen im Februar, im Mittelpunkt stehen entsprechend die Wahl der Kanzlerkandidatin (laut Tagesordnung im generischen Maskulinum: „des Kanzlerkandidaten“), das Wahlprogramm und die Wahlkampagne. Personalfragen werden keine große Rolle spielen – Weidels Nominierung als Kanzlerkandidatin ist unumstritten, der Vorstand muss erst 2026 neu gewählt werden und die Wahllisten werden in den Landesverbänden aufgestellt. Hier sind zehn Dinge, auf die ich am Wochenende achte.

1 Harmonie, Konflikt und Hinterzimmer

Nachdem AfD-Bundesparteitage lange ein Garant für offenen Streit und Unterhaltung waren, gelang es der Partei in den letzten beiden Jahren, die wichtigsten Konflikte bereits im Vorfeld der Veranstaltung in Hinterzimmergesprächen abzuräumen. Entsprechend rechnen dieses Mal die wenigsten Beobachter:innen mit einem großen Knall, aber Konfliktpotenzial gibt es allemal: zum Programm, zur Parteiorganisation, zu scharfen Grabenkämpfen in den Landesverbänden. In Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen kam es rund um die Nominierungsparteitage zu scharfen Eskalationen mit sehr unterschiedlichen Ausgängen: In Baden-Württemberg setzte sich Weidels Lager gegen die loose cannon-Fraktion durch, in Nordrhein-Westfalen gelang es den loose cannons gegen den Landesvorstand zahlreiche Nominierungen durchzusetzen.

Es wird interessant sein zu sehen, inwieweit es der Bundes-AfD in Riesa wieder gelingt, Kampf auf offener Bühne zu vermeiden und Harmonie zu inszenieren.

2 Junge Alternative oder Patriotische Jugend

Der am wenigsten kompromissfähige Konflikt betrifft die Zukunft der Jungen Alternative. Der Bundesvorstand möchte diese Jugendorganisation durch eine organisatorisch enger an die Partei gebundene Organisation namens Junge Patrioten ersetzen. Die Junge Alternative will sich das jedoch nicht gefallen lassen und hat dafür auch einige Unterstützung in der Partei – unter anderem erklärte Höcke per Twitter seine Solidarität. Es ist nicht ohne weiteres vorstellbar, wie eine Kompromisslösung aussehen sollte – jedoch ist es gut möglich, dass das Thema schlicht aufgeschoben wird, um eine Eskalation vor den Wahlen zu vermeiden.

3 Zahlreiche wirtschaftsliberale Anträge

Das 151 Seiten starke Antragsbuch enthält zahlreiche grundlegende Änderungsanträge zum Programmentwurf. Besonders aktiv war eine Gruppe um Krzysztof Walczak und Pascal Pfannes, die in jeweils leicht abweichender Zusammensetzung eine ganze Salve von über 30 Anträgen abgefeuert hat. Viele davon wollen die ohnehin schon marktliberalen Ausführungen zu Wirtschaft und Sozialem im Programmentwurf noch weiter zuspitzen – unter anderem geht es um eine Privatisierung der Arbeitslosenversicherung und eine Stärkung der privaten kapitalgedeckten Altersvorsorge. Das kommt großen Teilen der Partei ideologisch entgegen, würde aber kaum zu der vom Vorstand ausgegebenen Strategie passen, sich um ehemalige SPD-Wähler:innen zu bemühen – und es wären auch sonst eher keine Wahlversprechen, die man gerne in Fußgängerzonen erklären möchte.

Anträge zum Programm, die dem Vorstand und der Programmkommission nicht passen werden in der AfD oft durch Nichtbefassung abgekanzelt. Wenn das nicht gelingt, wird man sehen können, wie stark die marktliberale Fraktion bei den Delegierten noch ist: Beim Europaparteitag 2023 gelang es den Wirtschaftsliberalen in einigen Punkten sich durchzusetzen, bei denen die Bundesprogrammkommission moderatere Positionen bezogen hatte, mit denen man sich bei Wähler:innen mehr Zustimmung erhoffen kann.

4 Themenfeld Familie, Geschlecht und Abtreibung

Ähnliche Fragen stellen sich auf dem Themenfeld Familie und Geschlecht und insbesondere in der Frage von Schwangerschaftsabbrüchen. Hier gab es schon beim Erstellen des Entwurfes innerparteiliche Konflikte darum, wie scharf traditionalistisch die Positionierung ausfallen soll – und an unterschiedlichen Stellen setzten sich unterschiedliche Seiten durch. Auf der einen Seite wurde der aus früheren Programmen bekannte Halbsatz gestrichen, nach dem die Familie für die AfD aus „Vater, Mutter und Kindern“ besteht – ein Halbsatz also, den die Kanzlerkandidatin nur bedingt authentisch vertreten könnte und der auch an der Lebensrealität zahlreicher AfD-Wähler:innen vorbeigeht. Auf der anderen Seite wurden die Formulierungen zu Abtreibung noch weiter verschärft. Unter anderem steht dort: „Beim sorgfältigen Abwägen der Interessen muss Abtreibung die absolute Ausnahme bleiben, z.B. bei kriminologischer oder medizinischer Indikation.“ Und: „Während der Schwangerschaftskonfliktberatung sollen den Müttern Ultraschallaufnahmen des Kindes gezeigt werden, damit diese sich über den Entwicklungsstand des Kindes im Klaren sind.“

Beides wird nun von Änderungsanträgen herausgefordert. Zwei Anträge zielen darauf, den Passus mit Vater, Mutter und Kindern wieder aufzunehmen, was angesichts der Antragsteller absehbar erfolgreich sein wird – und was heißt, dass die Spitzenkandidatin und zahlreiche Wähler:innen nach den Maßstäben der eigenen Partei nicht in einer Familie leben. Bei den Passagen zu Schwangerschaftsabbrüchen wird dagegen eine Entschärfung beantragt – wohlgemerkt nicht, weil man gegen die Vorschläge wäre, sondern ganz explizit nur, um Wähler:innen nicht zu verschrecken, indem man ihnen die eigenen Absichten allzu deutlich verrät. So heißt es in den Änderungsanträgen: „Es sei insofern darauf hingewiesen, dass US-Präsident Donald Trump im vergangenen Präsidentschaftswahlkampf großen politischen Erfolg damit erzielte, seine ablehnende Position zum Thema Abtreibung nicht mit unnötig scharfer Rhetorik aufzuladen, sondern klug und zurückhaltend zu formulieren.“ Oder: „Die Forderung, Frauen in der Schwangerschaftskonfliktberatung Ultraschallbilder ihres Kindes zu zeigen, hält der BFA4 grundsätzlich für richtig. Wenn die vorliegende Formulierung aus dem Kontext des Einleitungstextes gerissen wird, kann sie allerdings als unempathischer Versuch gewertet werden, die Schwangeren unter Druck zu setzen. Dies entspricht nicht dem respektvollen und unterstützenden Umgang, den die AfD in solchen Beratungsgesprächen fordert. Da wir keine Kontrolle darüber haben, ob einzelnen Passagen des Programms aus dem Kontext gerissen werden, sollte der Passus in der vorliegenden Form gestrichen werden.“ Man ist sich also einig in der Einschränkung auf Abreibung nur als „absolute Ausnahme […], z.B. bei kriminologischer oder medizinischer Indikation“ und man ist sich einig beim Zeigen von Ultraschallbildern – will damit aber niemanden verschrecken.

5 Entschärfungen beim Thema Islam

Ähnliche Fragen stellen sich beim Themenfeld Islam. Die Bundesprogrammkommission hat selbst eine Reihe von Anträgen gestellt, die darauf zielen, einige Formulierungen über Islam und Muslim:innen zu entschärfen. Diese Änderungsanträge sind erkennbar von der Absicht getragen, Angriffspunkte für Verfassungsschutz und Verbotsantrag auszuräumen – die alten Formulierungen ließen allzu deutlich eine Diskriminierungsabsicht erkennen. Jedoch bleibt abzuwarten, ob die Parteitagsdelegierten so viel strategische Vernunft aufbringen, wie die Bundesprogrammkommission es sich wünscht.

6 Migration und Remigration

Das Wort „Remigration“ kommt im Programmentwurf nicht vor. Drei getrennte Änderungsanträge fordern allerdings Formulierungen ein, in denen das der Fall ist – in der Regel verbunden mit Verschärfungen in der Sache. Auch hier stellt sich die Frage, inwiefern die Partei strategisch auf mildere oder ob sie auf schärfere Formulierungen setzen wird.

7 Dexit oder nicht Dexit

2021, als das letzte Mal ein AfD-Bundesparteitag über ein Bundestagswahlprogramm abstimmen musste, düpierte Björn Höcke den damaligen Vorstand um Jörg Meuthen, indem er einen Antrag durchbrachte, der die AfD auf einen Dexit-Kurs verpflichtete. In den letzten Jahren rudert die AfD wieder etwas zurück und fordert etwas undeutlicher einen Umbau europäischer Institutionen im Sinne eines Bündnisses souveräner Nationalstaaten. Einen entsprechend zurückrudernden Antrag bringt nun ausgerechnet wieder Höcke ein – die Situation habe sich gewandelt. Teil des Hintergrundes ist, dass die AfD bei anderen Rechtsparteien in Europa nicht zuletzt aufgrund der Dexit-Forderung wenig beliebt ist. Konflikte sind hier eher nicht abzusehen, weil sich die wesentlichen Lager in der Kurskorrektur einig zu sein scheinen, dennoch darf man auf etwaige Diskussionen gespannt sein.

8 China, Russland und die USA

Ein bleibendes Konfliktfeld innerhalb der Partei ist die außenpolitische Orientierung. Mit Blick auf Russland gibt es neben dem russlandfreundlichen Partei-Mainstream immer noch einige eher atlantisch oder zumindest antirussisch orientierte Kräfte. Zudem gibt es aus deutschnationaler und antikommunistischer Motivation erhebliche geschichtspolitische Meinungsunterschiede mit dem Sowjet-Nostalgiker Putin. Ähnlich gibt es gegenüber China sowohl konziliantere als auch konfliktivere Positionen. Auch das Verhältnis zu den USA ist ambivalent. Einerseits gibt es deutlichen Antiamerikanismus, andererseits Bewunderung für Trump, die auch die Positionierung zu den USA verändert. Die Meinungsverschiedenheiten in der Partei sind überdeutlich, allerdings hat man es schon auf den letzten Parteitagen verstanden, einen offenen Konflikt darüber zu vermeiden.

9 Musk

Auch die Unterstützung durch Elon Musk könnte Thema werden. In der Partei und ihrem „Vorfeld“ überwiegen diesbezüglich Freude und Hoffnung: Zum einen kann Musk Millionen Follower ansprechen, Algorithmen manipulieren und den Geldbeutel öffnen, zum anderen steht seine Unterstützung insbesondere durch die Schützenhilfe aus dem Hause Springer für einen weiteren Normalisierungsschub. Allerdings ist Musk trotz aller ideologischen Schnittmengen kein idealer Bündnispartner der AfD – diese war in der Vergangenheit auf US-Internetkonzerne schlecht zu sprechen und sie liebt Verbrennungsmotoren. Zudem könnte es Bedenken angesichts von Musks sprunghafter Art geben: Dass er Nigel Farage innerhalb von zwei Monaten erst die Unterstützung aussprach und dann zugunsten eines anderen Rechtsextremen fallen ließ, ist keine vertrauensbildende Maßnahme; dass er innerhalb des MAGA-Lagers die für seinen Geschmack zu konsequent rassistischen Akteure sperren ließ, weil ihre Einwanderungspolitik seinen wirtschaftlichen Interessen widerspricht, ebenfalls nicht.

10 Höcke

Seit Jahren wird vor jedem Bundesparteitag spekuliert, ob Höcke nun endlich ernsthaft die bundespolitische Bühne betritt oder ob er weiter im bequemen Thüringen bleibt, wo er seinen Landesverband als absolutistischer Fürst anführen kann und keine Herausforderungen fürchten muss. Zur Bundestagswahl tritt er wieder nicht an. Allerdings hat er nun gleich 16 Anträge mitgezeichnet und wird einige davon wohl auch selbst vorstellen. Die Frage ist, ob er wieder einen Konflikt mit dem Bundesvorstand vom Zaun bricht – sollte er vorhaben, selbst Kalif anstelle des Kalifen zu werden, müsste er sich langsam für die Vorstandswahlen im nächsten Jahr in Stellung bringen.