Eine AfD-Strategie für ehemalige SPD-Wähler:innen? Mit diesen Positionen wohl eher nicht

table media berichtet, die AfD wolle bei der Bundestagswahl vermehrt auf die Themen Rente und Wohnen setzen, um ehemalige SPD-Wähler:innen abzugreifen. Nun ist die Wirtschafts- und Sozialpolitik der AfD Thema meiner (laaaangsam auf die sehr laaaange Zielgerade einbiegenden) Habilitation, daher ein paar Sätze.

Spätestens seit 2017 (gelegentlich auch schon vorher) hört man, die AfD wolle sich „ökonomisch links“ orientieren, also für einen aktiv intervenierenden und umverteilenden Staat eintreten (nur für echte Deutsche versteht sich). Doch obwohl seither in der Partei so manche Debatte geführt wurde, ist bislang auf Programmebene nichts dergleichen passiert.

In der Steuer- und Haushaltspolitik verfolgt man mit konsequent neoliberaler Rhetorik (im engen Sinne des Wortes) einen regelrecht „staatsfeindlichen“ Kurs, der sich nach Luckes Abgang eher noch verschärfte — und der sogar die FDP links wirken lässt. Die FDP gibt sich mit der Verhinderung von Steuererhöhungen und der Erhaltung der Schuldenbremse zufrieden. Die steuerpolitischen Vorschläge der AfD würden dagegen deutlich auf eine Minderung der Einnahmen und eine Umverteilung von unten nach oben hinauslaufen (auch wenn die Partei oft behauptet, es gehe ihr um die „Mitte“). Die haushaltspolitischen Vorschläge laufen (gerade in Kombination mit dieser Steuerpolitik) auf ein Aushungern des Staates hinaus. Im Grundsatzprogramm stehen unter anderem die Forderung nach einer Steuer- und Abgabenbremse, nach der Tilgung von öffentlichen Schulden (eine Forderung, die radikaler ist als die schwarze 0) und nach der Einführung eines Straftatbestandes der Steuerverschwendung.

In der Rentenpolitik hat die AfD eine jahrelange intensive Debatte hinter sich, in der elaborierte Konzepte aller Art zirkulierten. Einige (Frohnmaier, Meuthen) waren hart marktradikal, zumindest einer (aus Thüringen) war zwar nativistisch exkludierend und ausgeprägt familistisch, aber für das „eigene Volk“ mit „traditioneller Familie“ in der Tat ziemlich egalitär in Ton und Inhalt. Nach Jahren einigte sich die Partei 2020 dann auf ein „rentenpolitisches Konzept“. Und was steht drin? Nichts von rentenpolitischer Substanz. Man prophezeit über 23 Seiten in dramatischem Ton den Zusammenbruch des Rentensystems aufgrund der demografischen Entwicklung, macht aber anstatt substanzieller Reformvorschläge nur acht für das Gesamtsystem marginale Policy-Vorschläge, die im Wesentlichen auf ein Weitermachen wie bisher hinausliefen. Zu den zentralen Kenngrößen (Rentenniveau, Beitragssatz, Renteneintrittsalter) schweigt man sich elegant aus (wohl weil sich diese nach der Demografiepanik-Logik des Dokuments auf sehr unpopuläre Weise verändern müssten, was viele in der Partei auch wissen).

In der Arbeitsmarktpolitik gab es in der Tat eine Veränderung. 2013 und 2014 war man hier sehr liberal (auch in Hinblick auf Arbeitsmigration), stellte dann aber in einigen Belangen auf einen nativistischen Sozialprotektionismus um. Als sich herausstellte, dass der Mindestlohn populär ist, bekannte man sich zu ihm. In einigen Programmen will man etwas gegen prekäre Beschäftigungsverhältnisse tun. Vor allem will man aber ausländische Arbeitskräfte vom deutschen Arbeitsmarkt fernhalten (rentenpolitisch sehr gewagt).

In der Wohnungsbaupolitik spricht man sich unter anderem gegen sozialen Wohnungsbau aus und will stattdessen lieber Wohngeld (letzteres ist u.U. eine gute Sache, im Endeffekt aber eine Subvention für Vermieter:innen).

Meiner Einschätzung nach wird der programmatische Kurs der Partei nur zu einem geringen Teil strategisch zur Ansprache der Zielgruppe entwickelt und in hohem Maße durch die Meinungen der Aktiven in der Partei bestimmt — und von denen sind viele durch und durch ordoliberal. Das sah man z.B. 2023 auf dem Europaparteitag in Magdeburg, als die zuständigen Ausschüsse sich dafür aussprachen, endlich die Befürwortung eines „Wettbewerbs der Steuersysteme“ durch die Ablehnung von „Steuerdumping“ zu ersetzen — sehr vernünftig, wenn man kein Race to the Bottom will. Allerdings ließ die Mehrheit der Parteitagsdelegierten dies durchfallen.

Bei den Differenzen in der Partei gibt es einen verbreiteten Irrglauben: Die „Völkischen“ seien „ökonomisch links“ und die Marktliberalen seien „moderat“. Nichts von beidem stimmt. Die allgemeine Radikalität und die sozioökonische Positionierung treten in der Partei in allen Kombinationen auf (auch wenn es um Höcke, Pohl und Kaiser ein starkes Lager gibt, dass gemessen am Rest der Partei zum einen radikaler und zum anderen staatsinterventionistisch-umverteilend argumentiert).

Man sollte sich nicht zu viele Hoffnungen machen, dass eine öffentliche „Entlarvung“ dieser Positionen Wähler:innen abschreckt, die für die AfD stimmen, obwohl deren Programm gegen ihre „objektiven Interessen“ ist. Die Umfragedaten sagen, dass die meisten AfD-Wähler:innen ein eben solches ökonomisches Programm wollen (und die anderen ziehen vll. eh gerade zu BSW).

Dennoch bin ich sehr gespannt auf die Strategie, mit der die AfD bei diesen Positionen ehemalige SPD-Wähler:innen begeistern will. (Mag allerdings eh alles nur ein PR-Stunt sein.)