Der 13. Bundesparteitag der AfD in Riesa war vor allem eins: Die Vorbereitung für Björn Höckes Wahl zum alleinigen Parteivorsitzenden im nächsten oder übernächsten Jahr. Am Wochenende wurde deutlich: Der Punkt, an dem Höcke und der Ex-Flügel in der Partei nicht mehr nur eine starke Veto-Minderheit, sondern eine tonangebende Mehrheit bilden, ist erreicht. Zwar wurde auch an diesem Wochenende nicht jeder Höcke-Antrag sofort erfolgreich durchgestimmt, aber in allen richtungsweisenden Fragen hat er sich durchgesetzt und viel wichtiger: Er hat keine Gegner:innen mehr.
Dieser Prozess wurde dadurch erleichtert und beschleunigt, dass Beatrix von Storch unbillig in den Wahlprozess eingegriffen hatte, in dem der Berliner Landesverband seine Delegierten für den Bundesparteitag bestimmen sollte. Dies führte zum Ausschluss dieses Landesverbandes vom Parteitag und unterminierte von Storchs eigene Position. So wurde die Waage noch etwas stärker zugunsten des Ex-Flügels ausgelenkt.
Parteistruktur: Die überarbeitete Satzung ist auf Höckes zukünftigen Vorsitz ausgerichtet
Ein wichtiger Schritt zur Vorbereitung des Höcke-Vorsitzes erfolgte bereits am Freitag mit der Entscheidung, dass die AfD künftig nicht mehr zwei oder drei Sprecher:innen haben soll, sondern nur noch einen oder zwei. Höcke hatte diese Satzungsänderung befürwortet – mit der expliziten Ansage, dass es dieses Mal noch zwei Vorsitzende sein sollen, ab nächstem Mal (turnusmäßig in zwei Jahren) aber nur noch einer. Fast alle verstanden es so: In spätestens zwei Jahren übernimmt Höcke das Zepter.
Dass Höcke es dieses Jahr wieder nicht versuchte und immer noch nicht auf eine Kandidatur bei Vorstandswahlen ankommen ließ, nennen einige „feige“. Das kann man so sehen. Allerdings muss man auch die Strategie sehen: Höcke will keine Wahlen, die er womöglich verliert oder nur knapp einen Beisitzerposten gewinnt; er will nur solche, bei denen er als Retter und Anführer der Partei von einer breiten Mehrheit getragen wird. Das ist erst möglich, wenn der Ex-Flügel seine Dominanz ausbaut, was noch ein wenig dauert. Am Wochenende konnte man abschätzen: Abstimmungen Ex-Flügel gegen Anti-Flügel gingen etwa 55% zu 35% aus (10% sagen Nein zu allem). Man kann wohl damit rechnen, dass etwa die Hälfte der Partei Höcke entschieden unterstützen, während ein schrumpfendes Drittel dagegen steht.
Eine Maßnahme zur Bereitung des Weges zur Dominanz blieb Höcke verwehrt: Die von ihm gewünschte Kommission zur Reform der Parteistruktur, die er gerne geleitet hätte, wurde nicht eingerichtet. Dies geschah jedoch nicht, weil sie mehrheitlich abgelehnt worden wäre, sondern weil sich andere Punkte in die Länge zogen und der Parteitag im Chaos endete, bevor die Kommission an der Tagesordnung war.
Personalentscheidungen: Der Parteitag hat einen Vorstand von Höckes Gnaden gewählt
In den Wahlen zum in der AfD durchaus bedeutenden Schiedsgericht am Freitag und zum freilich deutlich wichtigeren Vorstand am Samstag zeigte sich die Dominanz der Extremen deutlich.
Die Schiedsgerichtswahlen waren nicht sehr umkämpft – schon deshalb nicht, weil es nur wenige Menschen gibt, die sich diesen Posten antun wollen. Sowohl in den Vorstellungen der Kandidat:innen als auch in den ihnen gestellten Fragen wurde deutlich, wie politisch diese Ämter sind und wer in der Partei das Sagen hat. Anstatt ihrer juristischen Qualifikation stellten die meisten Kandidat:innen ihre politische Positionierung klar – und vor allem ihre Ablehnung von Parteiausschlussverfahren, die sich fast immer gegen Rechtsextreme richteten. Kritische Fragen wurden ebenfalls mit demselben Impetus geführt und waren offenkundig vom Ex-Flügel koordiniert.
Am Samstagmorgen konnte der Parteitag dann dank der neuen Satzung entscheiden, ob es nun im neuen Vorstand einen oder zwei Vorsitzende geben soll. Ersteres hatte sich Chrupalla gewünscht, letzteres war (für dieses Mal!) Höckes Vorschlag. Und Höcke setzte sich durch.
Bei den Vorstandswahlen am Samstag waren insgesamt 14 Posten zu vergeben. Im Vorfeld hatte Parteisprecher Chrupalla unter dem Titel „Team Zukunft“ eine Art Schattenkabinett zusammengestellt, also eine Liste von Personen, mit denen er gerne im Vorstand sitzen würde. Diese Liste sei mit den verschiedenen Strömungen, Gliederungen und Landesverbänden abgesprochen. Ebenso wie Chrupalla stets ein Parteisprecher von Höckes Gnaden war, war auch die Liste nach dessen Interessen zusammengestellt. Auf ihr fanden sich ausschließlich Personen, die seinem Lager angehören oder von denen er nichts zu befürchten hat. Die vielbeschworene Einigkeit sollte hergestellt werden, indem die Gegner des Flügels herausgedrängt werden. Und dies gelang.
Für elf der 14 Posten traten Mitglieder von Chrupallas Wunschzettel an und setzten sich in acht Fällen durch – auf den beiden Sprecher:innenpositionen, den ersten beiden Stellvertreter:innenposten und vier der sechs Beisitzer:innenposten. Auf den anderen Posten gewannen ebenfalls Extreme oder Personen, die keine ernsthafte Gefahr darstellen. Meuthens Verbündete der letzten Jahre (von Storch, Pazderski, Cotar) traten gar nicht erst an und werden sich jetzt vermutlich fragen, was sie noch in der Partei zu suchen haben. (Wahrscheinlich werden einige von ihnen auch larmoyante Tell-all-Bücher schreiben, aber sie wussten, in welcher Partei sie waren.) Etwas anders könnte es bei Norbert Kleinwächter aussehen, der bei seiner Kampfkandidatur gegen Chrupalla nach einer starken Vorstellungsrede mit 36% einen Achtungserfolg erzielen konnte; wenn er seine meuthenianische Positionierung aufgibt und einen Diener gegenüber Höcke macht, könnte er sich damit durchaus für eine Zukunft in der Partei empfohlen haben.
Eine Gegenstimme im neuen Vorstand könnte es gegen die Wiederaufnahme von Andreas Kalbitz geben. Der neugewählte Schriftführer Dennis Hohloch, dem Kalbitz bei einem „Begrüßungshieb“ einen Milzriss zugefügt hatte, steht dieser dem Vernehmen nach eher skeptisch gegenüber. Eher unwillkommen dürfte beim Ex-Flügel der wiedergewählte Schatzmeister Carsten Hütter sein, der sich mit Amtsbonus knapp gegen den Flügelisten Emil Sänze durchsetzte. Somit dürfen diejenigen, die dem Ex-Flügel nicht passen, im neuen Vorstand vor allem die Buchhaltung erledigen und die Protokolle führen.
Die kommenden Machtkämpfe: Der neue Vorstand muss direkt um seine eigenständige Handlungsmacht kämpfen
Wer die am Samstag zelebrierte Einheits-Rhetorik glaubte (was wohl auch einige in der Partei taten), wurde am Sonntag eines Besseren belehrt. Es standen gleich zwei ernsthafte Konflikte an.
Der erste wurde um die Unvereinbarkeitserklärung gegenüber dem sich selbst als „Gewerkschaft“ bezeichnenden rechtsextrem vernetzten Verein „Zentrum Automobil“ in Baden-Württemberg geführt. Diese Unvereinbarkeit, die eine gleichzeitige Mitgliedschaft in AfD und ZA in BaWü ausschließt, wird auf Wunsch des Flügels aufgehoben – gegen den Willen der neuen Parteivorsitzenden Weidel sowie des neugewählten Vorstandsmitglieds Marc Jongen. Die kontroversen Diskussionen machten deutlich, dass einer der Dauerkonflikte der AfD, nämlich die Abgrenzung zum offenen Rechtsextremismus, weitergeführt wird. Auch der neue Vorstand wird hier vom Flügel angegriffen – vermutlich so lange, bis es gar keine Grenzen mehr gibt. Während Jongen mit normativen und pragmatischen Argumenten für die Unvereinbarkeit argumentierte und plausibel anmerkte, dass die AfD eine Zusammenarbeit mit ZA gar nicht viel zu gewinnen habe, verkündete Höcke, dass die Partei künftig selbst entscheide, wer extremistisch sei. 60% des Parteitages stimmten dem letzteren zu.
Etwas unübersichtlicher waren die Konfliktlinien bei der zweiten großen Kontroverse, die sich um eine Resolution zur Außen- und Europapolitik entfaltete. Diese Resolution sollte die 2021 in Dresden beschlossene Dexit-Forderung durch die positive Konzeption einer neuen politischen Ordnung in Europa rahmen. Inhaltlich lief es auf die Vorstellung einer „multipolare“ Welt hinaus, die an Carl Schmitts Idee einer Großraumordnung erinnert: Deutschland und das Post-EU-Europa-der-Nationen sollen sich von den USA lösen und sich stattdessen gleichberechtigt, eigenständig und stark zwischen USA, China, Russland usw. positionieren.
Dies war der erste von mehreren inhaltlichen Punkten, die vor Ende des Parteitages diskutiert werden sollten. Er führte jedoch zum mehr als zweistündigen Konflikt, der mit Verfahrens-, Änderungs- und Geschäftsordungsanträgen scharf geführt wurde und dessen einziges Ergebnis das Ende des Parteitages war.
In diesem Konflikt lassen sich anders als beim ZA-Streit keine klaren zwei Seiten identifizieren. Vielmehr erwuchs das Chaos aus einer Konfliktdynamik, an der mehrere Interessen beteiligt waren. Gestellt wurde der Antrag, die Resolution zu beschließen, zunächst von einer recht breiten Gruppe. Darunter waren neben Flügelisten wie Höcke und Gauland auch Delegierte wie Albrecht Glaser, der als Vorsitzender der Programmkommission fungiert und verschiedentlich als Gegner Höckes in Erscheinung getreten war (zuletzt am Freitag, als er gegen die Abschaffung der Doppelspitze argumentierte und Höcke den in der AfD schlimmstmöglichen Vorwurf machte: Luckeismus).
Alle, die sich gegen den Antrag aussprachen, betonten ihre inhaltliche Zustimmung, monierten aber einzelne Aspekte. Einige argumentierten eher formal, indem sie die mangelnde Einbindung einiger Gliederungen monierten (z.B. der AfD-Abgeordneten im Europaparlament) oder die „teils schwülstige“ Sprache kritisierten. Indem Weidel letzteres tat, wollte sie wohl wiederum verhindern, dass Höcke dem Vorstand so zentrale inhaltliche Vorgaben diktiert und dagegen den eigenen Führungsanspruch unterstreichen. Die verbleibenden Meuthenianer zählten – so sie denn überhaupt noch in Erscheinung traten – selbstverständlich ebenfalls zu den Kritikern (z.B. Joachim Kuhs). Allerdings wurde die Resolution auch von Delegierten kritisiert, die selbst dem Ex-Flügel zuzurechnen sind. So argumentierte Thomas Seitz eher pragmatisch, dass die russlandfreundlichen Formulierungen in Westdeutschland schädlich seien. Diejenigen dagegen, die wie Christian Blex oder Hans-Thomas Tillschneider dem harten Kern des Ex-Flügels zuzurechnen sind, forderten mit Vehemenz den sofortigen Beschluss der Resolution ein – und schreckten dabei auch nicht davor zurück, sich über das schlechte Wahlergebnis des neu gewählten Parteivorsitzenden Chrupalla lustig zu machen und diesen damit weiter zu schwächen.
Zu einem Abschluss kam der Konflikt erst, nachdem einige der Antragsteller ihre Unterstützung zurückgezogen hatten (Glaser und Martin Vincentz) und Chrupalla gemeinsam mit seiner Co-Sprecherin Weidel, dem Ehrenvorsitzendem Gauland, und sieben weiteren Landesvorsitzenden (darunter auch der Flügelist Urban aus Sachsen, nicht aber die Vorsitzenden aus Thüringen, Sachsen-Anhalt oder Brandenburg) gemeinsam auf die Bühne trat, um die bloße Überweisung der Resolution an den Bundesvorstand zur weiteren Ausarbeitung zu beantragen. Dies hatte Chrupalla bereits zuvor versucht, aber erst mit dieser breiten Unterstützung gelang es ihm, eine knappe Mehrheit von 56,5% zu 43,5% zu mobilisieren. Dabei betonte Chrupalla zudem, dass er die Resolution in der vorliegenden Fassung befürworte und die Überweisung nur beantrage, um den Streit zu beenden und zu schlichten – kein Zeichen von Eigenständigkeit oder Stärke.
Man sollte nicht hinter jeder Dynamik irgendwelche weit vorausschauenden 3-D-Schach-Züge von Höcke vermuten. Aber im Endeffekt haben er und die seinen es geschafft, alle wirklichen Gegner aus dem Vorstand zu drängen und den neuen Vorstand direkt wieder so zu schwächen, dass seine Machtübernahme noch vor der turnusmäßigen Vorstandswahl in zwei Jahren anstehen könnte. Denn die Mehrheitsverhältnisse in der Partei dürften sich nach diesem Wochenende wohl nur zu seinen Gunsten entwickeln.
Inhalte und Zukunftsperspektive: nur schwer erkennbar
Kaum zu erkennen waren am Wochenende inhaltliche Strategien. Die Wahlniederlagen der letzten Jahre wurde vor allem auf die Konflikte der vergangenen Jahre zurückgeführt, für die Meuthen verantwortlich gemacht wurde. Einigkeit sollte den Erfolg bringen, aber Einigkeit gab es nur am Samstag. Die nun für alle sichtbar von Höcke dominierte AfD dürfte es bei den anstehenden Landtagswahlen im Westen sehr schwer haben. Die Beobachtung durch den Verfassungsschutz wird so sicherlich bestehen bleiben; eine Einstufung der Gesamtpartei als gesichert rechtsextrem könnte anstehen; ein Verbotsverfahren ist nicht auszuschließen.
Auch die zunehmende Isolation der AfD unter den europäischen Rechtsparteien zählte zu den Tagesordnungspunkten, die wegen des chaotischen Endes nicht mehr behandelt werden konnten. Es ist schwer vorstellbar, dass sich polnische oder französische Nationalist:innen durch dieses Wochenende ermutigt fühlen, die Nähe der AfD zu suchen – eine Partei, in der revanchistische Deutschnationale dominieren, ist weder bei den westlichen noch bei den östlichen Nachbarn allzu willkommen.
Die einzige inhaltliche Resolution, zu der sich der Parteitag durchringen konnte, forderte den Neubau von Kernkraftwerken. Auch wenn diese Forderung angesichts der Energiekrise gesellschaftlich mehrheitsfähig sein könnte, ist kaum vorstellbar, dass sie für die AfD zu dem politischen Zugpferd wird, als das einige der Delegierten sie aufbauschten.
Darüber hinaus wurde am Wochenende deutlich, dass viele in der Partei ihre Hoffnungen in die politischen Folgen einer Inflationskrise setzen. Doch auch wenn viele Menschen ökonomisch unter der Inflation leiden werden, ist nicht klar, warum sie ausgerechnet bei der AfD Abhilfe suchen sollten. Denn sozioökonomische Rezepte wurden am Wochenende wiederum keine genannt.[1]
Fußnoten
[1] Einzige Ausnahme war ein kurzer Passus in Chrupallas Eröffnungsrede. Die AfD solle eine Partei für alle sein, die zur Wertschöpfung beitragen: Kleine und mittelständische Unternehmen sind toll, Selbstständige sind toll, wer arbeitet, ist auch gut und den sozial Schwachen soll geholfen werden; vor allem aber sind Rentner wichtig. Ermöglicht werden soll die ökonomische Verbesserung für eigentlich alle durch einen „ehrlichen Kassensturz“. Wahrscheinlich gibt es viele Milliarden zu verteilen, wenn man fünf Gender-Studies-Professuren abschafft.