Zur Mai-Ausgabe des Missy Magazine durfte ich einen kurzen Glossartext zum Begriff “Postmoderne” beisteuern. Der musste für den Druck etwas gekürzt werden, hier die Vollversion, durch die insbesondere der Teil über die mögliche sinnvolle Verwendung des Begriffs etwas klarer werden könnte.
In gegenwärtigen Debatten wird das Wort „Postmoderne“ fast nur als Klischee benutzt. Als „die Postmodernen“ gelten dann irgendwelche verrückten Linken und/oder Philosoph_innen, die bezweifeln, dass es so etwas wie Wahrheit, Wirklichkeit, Freiheit oder Vernunft überhaupt gibt. Das Motto der Postmodernen sei ein relativistisches „Anything goes!“ – alle könnten denken, sagen und tun, was sie wollten. Diese Klischees wurden in den 1980er Jahren in philosophischen Fachdiskursen geprägt und haben in der Öffentlichkeit bis heute überlebt.
Diese Beschreibung „der Postmodernen“ war schon immer Unsinn. Es gibt schlichtweg keine philosophische Strömung, die damit auch nur in allergröbster polemischer Annäherung beschrieben wäre. Aber schlimmer noch: der Unsinn ist nicht einfach nur Unsinn, sondern auch Ideologie, die zwei Funktionen erfüllt: Erstens erlaubt sie es den selbsterklärten Kämpfer_innen gegen „postmoderne Beliebigkeit“, sich als standhafte Verteidiger_innen von Aufklärung und Zivilisation in einem Sturm postmoderner Barbarei zu imaginieren. Zweitens erlaubt sie es, die Argumente der als „postmodern“ gebrandmarkten Kritiker_innen unbesehen abzutun. Die so abgetane Kritik verweist darauf, dass die sich als vernünftig, universell, fortschrittlich und humanistisch verstehenden Denk- und Gesellschaftssysteme der westlichen Moderne mit heterosexistischer, (kolonial-)rassistischer und Klassenherrschaft einhergehen, der vermeintliche Universalismus in Realität partikular-männlich-europäisch-kolonial-bürgerlich verzerrt ist – wohlgemerkt bezeichnet sich kaum jemand von denen, die diese Kritik formulieren als „postmodern“.
Zugegeben: In manchen Blasen der radikalen Linken und der Kulturszene gibt es in der Tat die Tendenz, die notwendige Kritik an Herrschaft, Vernunft und Aufklärung so plump relativistisch zu formulieren, als gebe man sich Mühe, dem antipostmodernen Klischeebild so gut wie möglich zu entsprechen. Aus Judith Butlers Kritik der Geschlechterordnung als Zwangssystem, das laufend performativ reproduziert werden muss, wird dann die Idee, dass Geschlecht ein lustiges Spiel sei oder man dem Zwangssystem durch lustige Spiele entkommen könnte. Aus Jacques Derridas Dekonstruktion von Humanismus und Aufklärung wird deren einfache Ablehnung als irgendwie böse – und so weiter und so fort. Derartig plumpe Formen von Kritik sind aber nichts spezifisch „Postmodernes“, sondern auch in Strömungen zu finden, die sich als liberal, marxistisch, radikalfeministisch oder sonstwie verstehen – nicht zuletzt bei denen, die sich offensiv anti-postmodern geben. Gesellschaftliche und politische Praxis ist eben kein philosophischer Diskurs – und das ist nicht nur schlecht.
Zwar wird der Begriff „Postmoderne“ fast ausschließlich als ideologisches Klischeebild verwendet, er könnte aber durchaus in sinnvoller Weise bestimmt werden. Dann bezeichnet er eine Form der gesellschaftlichen Selbstbeschreibung, die sich von der Moderne und ihrer Selbstbeschreibung abgrenzt. Die moderne Selbstbeschreibung bejaht die fortschrittliche Überwindung von Tradition und die dadurch ermöglichte Befreiung, Individualisierung und Rationalisierung. In der postmodernen Selbstbeschreibung wird darauf verwiesen, dass dieser Glaube an Fortschritt und Rationalisierung in der Praxis mit Vereinheitlichung und Unterdrückung einhergeht: Wenn alle Menschen als einfach nur gleich gelten, kann es rational erscheinen, alle in dieselben standardisierten Muster zu zwängen: an Fließbänder, in Kleinfamilien, in Reihenhäuser und Plattenbauten. Die postmoderne Selbstbeschreibung grenzt sich von dieser Standardisierung ab und kritisiert sie als menschenfeindlich. An ihre Stelle sollen “menschlichere” Formen treten: neoliberale „Wissensgesellschaft“ statt fordistisch-keynesianischer Industriegesellschaft, Patchworkfamilien mit Vereinbarkeit von Beruf und Familie statt Kleinfamilien mit männlichem Ernährer, eine auf menschliche Bedürfnisse ausgerichtete Architektur statt stumpfer Standardisierung und so weiter und so fort. In diesen postmodern-“menschlichen” Formen werden dann auch traditionelle Bestände wieder aufgenommen, die in der Moderne als “archaisch” abgetan wurden.
So könnte man der Begriff „Postmoderne“ durchaus in sinnvoller Weise verwenden. Aber egal, wie man den Begriff selbst definiert, am Ende bewegt man sich in den dominanten ideologischen Diskursen. Deshalb ist es in exakt 99,35% der Fälle besser, auf das Wort „Postmoderne“ ganz zu verzichten