Immer noch: Gegen Bescheidwissen über Trump

Nach seinen Reaktionen auf die Ereignisse von Charlottesville liest man wieder einmal, nun habe Trump endgültig gezeigt, was er für einer ist; sein politisches Schicksal sei damit faktisch besiegelt. Genau dieses vorschnelle Bescheidwissen prägt die Debatte über Trump schon sein anderthalb Jahren. Ein Blick aus der linksliberalen Blase und ein Blick auf die eigene Routine wären hilfreich.

Floris Biskamp

Linksliberale Routinen

Wer der Facebookseite des linksliberalen Magazins Mother Jones folgt, kann seit Beginn des republikanischen Vorwahlkampfes mehrmals wöchentlich Meldungen darüber lesen, dass es nun endgültig vorbei ist mit Donald Trump. Jetzt habe er endgültig gezeigt, was er für einer ist, jetzt müsse es auch die Letzte gemerkt haben, jetzt hätten auch konservative Republikaner_innen endlich genug. Mit diesen Anmerkungen steht Mother Jones keineswegs alleine dar. Ähnliches lässt sich quer durch alle nicht offen rechten Medien und Social-Media-Blasen immer und immer wieder lesen – und auch nach Trumps Äußerungen zu Charlottesville wird diese Routine wieder einmal abgespielt.

Wieder einmal wird gebetsmühlenartig geschrieben, nun habe Trump sein wahres Gesicht gezeigt, das wirklich niemandem gefalle, und damit jetzt endlich alle gegen sich aufgebracht usw. Das ist einerseits gut nachvollziehbar: Aus der Sicht eines linken oder liberalen Alltagsverstands sind Trumps Äußerungen wirklich (wieder einmal) so ungeheuerlich, dass sie ihn für jeden anständigen Menschen völlig unwählbar machen sollten. Wer sich so äußert, ist als Präsident offensichtlich ungeeignet, und alle müssten es sehen.

Andererseits gilt jedoch dasselbe auch für zahlreiche andere Äußerungen, die Trump seit Beginn seiner politischen Karriere getätigt hat. Nach jeder dieser Äußerungen erklärte der linksliberale Alltagsverstand eben diese Karriere für beendet und jedes Mal ging sie weiter. Daher sollten die Träger_innen dieses Verstandes zweierlei dringendst lernen: nämlich erstens, dass weite Teile der wahlberechtigten Bevölkerung ihre Weltsicht einfach nicht teilen, und zweitens, dass sich die Welt daher auch nicht so entwickelt, wie sie es für zwangsläufig halten.

Zwei heilsame Strategien gegen das Bescheidwissen

Es gibt zwei Strategien, mit denen man sich vor dem falschen Bescheidwissen bewahren kann.

Die erste besteht darin, einen Blick hinaus aus der eigenen Filterblase in die Pro-Trump-Blasen der sozialen Medien zu werfen. Der kürzeste Weg führt über die Facebook- und Twitter-Accounts von Donald Trump selbst, auf denen die Zahl der Likes unter Postings nach wie vor regelmäßig im sechsstelligen Bereich liegt. Klickt man sich weiter durch diverse Pro-Trump-Gruppen, ‑Seiten und ‑Medien findet man eine routiniert arbeitende Verteidigungs- und Schuldumkehrmaschinerie, die eine klare Nachricht verbreitet: Trump hat recht und wird wieder einmal zu Unrecht von den Medien diffamiert.

Diese Social-Media-basierte Alltagsempirie hat eine demoskopische

Entsprechung: Zwar sind Trumps Zustimmungsraten mit knapp 40% so niedrig wie noch für keinen anderen US-Präsidenten zu diesem Punkt seiner Amtszeit (mit der möglichen Ausnahme von Gerald Ford), jedoch lagen sie schon bei Wahl und Vereidigung unter 50%. Die überwiegende Mehrheit derjenigen, die Trump im letzten November gewählt haben, würden es wohl also immer noch tun – eine Wiederwahl 2020 ist gut möglich.

67% der Republikaner_innen stimmen Trumps Reaktion zu (Screenshot von https://www.vox.com/2017/8/17/16161016/cbs-poll-charlottesville-republicans-55-percent-67-percent)

Edit (22. August): Einer CBS-Umfrage zufolge stimmt eine Mehrheit von 67% aller Republikaner_innen Trumps Reaktion zu. Auch unter der Gesamtbevölkerung lehnen sie nur 55% ab.

Die zweite Strategie besteht in einem Blick auf die eigenen Routinen, also in einem Blick darauf, wie oft der linksliberale Alltagsverstand schon davon überzeugt war, dass es nun vorbei ist mit Trump und seinen politischen Aussichten – ein sehr guter Startpunkt hierfür ist die bereits erwähnte Facebookseite von Mother Jones.

Vor einem solchen Blick in die Vergangenheit verlieren auch einige der konkreteren „Beweise“ an Kraft, die dafür vorgebracht werden, dass es nun endgültig aus sei mit Trump. So messen einige dem Ausbruch der Fox News-Moderatorin Kat Timpf viel Bedeutung bei, in dem sie Trump wohl mit aufrichtiger Verblüfftheit und Empörung angreift. Jedoch sei daran erinnert, dass sich mit Megyn Kelly bereits vor den Präsidentschaftswahlen eine weitaus prominentere Moderatorin des notorischen Pro-Trump-Senders sehr eindeutig gegen den späteren Präsidenten wandte – und den Sender schließlich verlassen musste.

Andere verweisen darauf, dass Fox News keine Republikaner_innen mehr findet, die bereit sind, Trump für die Kamera zu verteidigen. Wer ein bisschen sucht, findet ähnliche Meldungen jedoch auch in Bezug auf das Comey-Memo aus dem Mai 2017. Auch als kurz vor den Wahlen das Open-Mic-Tape auftauchte, auf dem Trump mit sexuellen Übergriffen prahlte, wurde es sehr einsam um ihn. Das politische Ende bedeutete nichts von beidem.

Gegen das Bescheidwissen

Damit ist wohlgemerkt nicht andersherum gesagt, dass Trumps Erfolg ewig währen müsste. Es kann sehr gut sein, dass er 2020 abgewählt wird; es kann sein, dass er bereits zuvor einem Amtsenthebungsverfahren zum Opfer fällt; es kann sein, dass er irgendwann gekränkt hinschmeißt; und es kann sein, dass er aus gesundheitlichen Gründen aufhören muss.

Es kann sogar sein, dass die Ereignisse von Charlottesville und Trumps Reaktionen darauf sich als der Punkt erweisen, an dem sich sein Schicksal besiegelt haben wird. Es ist gut möglich (wenn auch bislang nicht beobachtbar), dass ihn seine Äquidistanz gegenüber offenen Nazis und Gegendemonstrant_innen entscheidende Prozentpunkte in den regelmäßig abgefragten Zustimmungsraten kostet, was schwerwiegende politische Konsequenzen haben könnte. Im Herbst 2018 stehen Midterm-Elections an und die zur Wahl stehenden republikanischen Abgeordneten werden sich gut überlegen müssen, ob ihnen Nähe oder Gegnerschaft zu Trump mehr Stimmen bringt – die Antwort auf die Frage wird je nach Staat und Wahlkreis variieren. Je nachdem, wie diese Berechnungen ausfallen, kann es sein, dass Trumps Unterstützung in der Partei weiter erodiert, so dass es ihm in Zukunft noch schwerer fällt, irgendein Vorhaben durch den Kongress zu bringen, als es ohnehin schon der Fall ist.

Es ist sogar möglich, dass Charlottesville dazu führt, dass sich genug republikanische Abgeordnete gegen Trump wenden, um ein Impeachmentverfahren zu ermöglichen, falls die FBI-Ermittlungen in Bezug auf Russland eine Grundlage für ein solches Verfahren produzieren.

Nur wissen kann man nichts von alldem. Daher täte der linksliberale Alltagsverstand gut daran, endlich einmal damit anzufangen, die Mahnung Gegen Bescheidwissen ernstzunehmen, die Horkheimer und Adorno in der Dialektik der Aufklärung formulierten:

„Zu den Lehren der Hitlerzeit gehört die von der Dummheit des Gescheitseins. Aus wievielen sachverständigen Gründen haben ihm die Juden noch die Chancen des Aufstiegs bestritten, als dieser so klar war wie der Tag. Mir ist ein Gespräch in Erinnerung, in welchem ein Nationalökonom aus den Interessen der bayrischen Bierbrauer die Unmöglichkeit der Uniformierung Deutschlands bewies. Dann sollte nach den Gescheiten der Faschismus im Westen unmöglich sein. Die Gescheiten haben es den Barbaren überall leicht gemacht, weil sie so dumm sind. Es sind die orientierten, weitblickenden Urteile, die auf Statistik und Erfahrung beruhenden Prognosen, die Feststellungen, die damit beginnen ‚Schließlich muß ich mich hier auskennen‘, es sind die abschließenden und soliden statements, die unwahr sind. Hitler war gegen den Geist und widermenschlich. Es gibt aber auch einen Geist, der widermenschlich ist: sein Merkmal ist wohl orientierte Überlegenheit.“